Kein „Chemobrain“ bei Brustkrebs

Milde kognitive Störungen bei Brustkrebspatientinnen können gleichermaßen mit und ohne Chemotherapie auftreten und hängen mit posttraumatischem Stress zusammen, wie eine von der Deutschen Krebshilfe geförderte Studie nachweist.

Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München – 04.05.2017

Leiden Brustkrebs-Patientinnen unter Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, der Konzentration und anderer geistiger Fähigkeiten? Seit Jahren gibt es den Verdacht, dass solche kognitiven Störungen eine Nebenwirkung der Chemotherapie sein könnten – das passende Schlagwort dazu lautet „Chemobrain“. Unter Leitung von Dr. Kerstin Hermelink vom Brustzentrum der LMU haben Wissenschaftler mehrerer Kliniken in und um München in einer von der Deutschen Krebshilfe geförderten Längsschnittstudie untersucht, welche Rolle posttraumatischer Stress in der Verursachung der Störungen spielt. Ein Jahr nach der Diagnose Brustkrebs fanden sich minimale kognitive Auffälligkeiten sowohl bei Patientinnen nach einer Chemotherapie als auch bei Patientinnen, die ohne Chemotherapie behandelt worden waren. Wie vermutet, hingen die Auffälligkeiten mit posttraumatischem Stress zusammen. „Es ist gut nachgewiesen, dass posttraumatischer Stress – nicht zu verwechseln mit normalem Alltagsstress – tief in die Arbeitsweise des Gehirns eingreift“, erklärt Studienleiterin Hermelink. „Eine Krebserkrankung kann als Trauma erlebt werden. Deshalb war es naheliegend, die Hypothese aufzustellen, dass kognitive Auffälligkeiten bei Krebspatientinnen eine Folge von posttraumatischer Stressbelastung sind.“

An der Studie Cognicares (Cognition in Breast Cancer Patients – the Impact of Cancer-related Stress) nahmen 166 Frauen teil, bei denen Brustkrebs neu diagnostiziert worden war. Die Kontrollgruppe bestand aus 60 Frauen, bei denen eine Routineuntersuchung der Brust keinen Verdacht auf Krebs ergeben hatte. Zu drei Zeitpunkten innerhalb eines Jahres wurden alle Teilnehmerinnen mittels eines klinischen Interviews auf posttraumatische Symptomatik hin untersucht. Ihre kognitiven Funktionen wurden mit neuropsychologischen Verfahren umfangreich getestet.

Im Vergleich mit den Teilnehmerinnen in der Kontrollgruppe zeigten die Patientinnen insgesamt eine leichte, gerade noch nachweisbare Abnahme ihrer Testleistungen. Zudem machten die Patientinnen sowohl vor Behandlungsbeginn als auch ein Jahr später mehr Fehler in einem von mehreren Tests der Aufmerksamkeit. Alle diese Auffälligkeiten hingen mit der Stärke posttraumatischer Symptomatik zusammen und der Effekt der Krebserkrankung auf die Aufmerksamkeit war nicht mehr statistisch signifikant, wenn der Effekt von posttraumatischem Stress berücksichtigt wurde. Nur ein einziges auffälliges neuropsychologisches Ergebnis trat ausschließlich bei Chemotherapie-Patientinnen auf und hatte nichts mit posttraumatischer Symptomatik zu tun: Die Patientinnen zeigten einige Monate nach Abschluss der Chemotherapie etwas längere Reaktionszeiten in einem computerbasierten Test, bei dem sie klicken mussten, sobald ein Kreuz auf dem Bildschirm erschien. „Der minimale Unterschied – im Mittel 19 Millisekunden – könnte auch durch eine periphere Neuropathie, eine Schädigung der Fingernerven durch bestimmte Zytostatika, entstanden sein und nichts mit kognitiven Funktionen zu tun haben,“ sagt Hermelink.

Die Studienergebnisse legten nahe, dass Störungen kognitiver Funktionen bei Krebspatientinnen eher auf psychologische Faktoren zurückzuführen seien als auf neurotoxische Nebenwirkungen der Behandlung. „Unser Gehirn ist keine Maschine, die immer gleich funktioniert, sondern es verändert seine Funktionsweise und auch seine Struktur ständig in Abhängigkeit von dem, was wir tun und erleben“, sagt Hermelink. „Es wäre sonderbar, wenn all das, was eine Krebserkrankung an Folgen für die Psyche und an Eingriffen in das Leben mit sich bringt, spurlos am Gehirn und den kognitiven Funktionen vorübergehen würde. In unserer Studie haben wir uns auf die Effekte von posttraumatischem Stress beschränkt, aber auch Schlaflosigkeit, unter der viele Krebspatientinnen leiden, eine berufliche Auszeit, Angst, Depressivität und andere Faktoren könnten an der Verursachung der kognitiven Beeinträchtigungen beteiligt sein. In der Forschung zu kognitiven Störungen bei Krebspatienten sind solche Faktoren bisher vernachlässigt worden. Wenn überhaupt, sind sie nur mit Screening-Fragebogen erfasst worden – angesichts der subtilen kognitiven Auffälligkeiten, um die es hier geht, ist das viel zu ungenau.“ Für Patientinnen seien die Studienergebnisse eine gute Nachricht: Sie müssten nicht damit rechnen, durch neurotoxische Wirkungen der Chemotherapie zwangsläufig eine Schädigung ihrer kognitiven Funktionen zu erleiden.
(Journal of the National Cancer Institute 2017)


Quelle: LMU München