Welche Erfahrungen machen Menschen mit Hodenkrebs? Wie wirkt sich die Therapie auf ihren Körper und ihre Seele aus? Ewald steht kurz vor seinem 72. Geburtstag, als die Beschwerden beginnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er keine schwerwiegenden Krankheiten. In diesem Beitrag erzählt er von seinen Erfahrungen mit Hodenkrebs.
Ewalds Erfahrungen mit Hodenkrebs:
„Während des Urlaubs bekam ich äußerliche Schmerzen in der Brust. Die Brust war verhärtet, auf der linken Seite mehr als auf der rechten. Wenn ich mich im Bett umdrehte und dabei mit einem Arm an die Brust kam, schmerzte dies so, dass ich davon wach wurde. Dies wurde nach dem Urlaub mal etwas besser mal schlechter. Am 18. Juni, einem Montag, ging ich wegen dieser Beschwerden zu meinem Hausarzt. Der konnte damit aber nichts anfangen und überwies mich daher zum Chirurgen.
Die Chirurgin schaute sich am gleichen Tag meine Brust an und sagte, diese sei nicht entzündet. Um die Ursache festzustellen, entnahm sie Blut und schmierte schwarze Zugsalbe auf die linke Brust. Am Donnerstag sollte ich wiederkommen, dann würde das Ergebnis der Blutuntersuchung vorliegen.“
Verdacht auf Brustkrebs
„Bei dieser Blutuntersuchung war ein Wert gelb markiert: HCG als Tumormarker war erhöht. Sie hatte den Verdacht auf Brustkrebs und hatte mir bereits für den gleichen Tag einen Termin bei einem Radiologischen Institut für eine Mammographie gemacht. Diese Untersuchung war negativ.
Der Arzt vermutete, dass die Brustschmerzen von einem Medikament kommen könnten, das ich zu der Zeit einnahm. Tatsächlich war diese Nebenwirkung im Beipackzettel des Medikaments ausgewiesen.
Ich habe das Ergebnis der Blutuntersuchung meinem Hausarzt, einem befreundeten Allgemeinmediziner, und meinem Urologen mit der Bemerkung, dass ich das Medikament absetzen werde, vorgelegt. Auch meinem Sohn, der Urologe ist, habe ich die Untersuchungswerte gegeben. Auf meine Frage was der Tumormarker bedeutet bekam ich immer die Antwort: ‚Das hat Nichts zu sagen’.“
Veränderungen im Hoden
„Anfang November stellte ich fest, dass mein linker Hoden sich vergrößert hat und härter geworden ist. Schmerzen hatte ich keine. Hierüber informierte ich meinen Sohn, der hunderte Kilometer entfernt wohnt. Gleichzeitig machte ich einen Untersuchungstermin für Mitte November bei meinem Urologen aus. Mein Sohn sagte mir, dass meine Feststellung verschiedene Ursachen haben könnte, wie ein Wasserbruch oder eine Entzündung im Nebenhoden. Entzündungen sind allerdings meist schmerzhaft.
Hodentumore gibt es vorwiegend bei jüngeren Männern, bei über 70-jährigen gibt es kaum bekannte Fälle. Das statistische Durchschnittsalter bei Hodenkrebs beträgt 38 Jahre.
Einige Zeit später kam er auf der Durchreise mal kurz zu uns und schaute sich meinen Hoden an. ‚Dies sieht nicht gut aus!’ sagte er. Ich erklärte, dass ich keine Schmerzen hätte. Sein Kommentar: ‚Es wäre besser, du hättest Schmerzen’.“
„Später bestätigten mir zwei Ärzte, dass sie gelernt haben, dass Brustschmerzen beim Mann auf die Hoden hinweisen können. Symptome: tastbare, schmerzlose Verhärtung innerhalb des Hodensacks, vergrößerter Hoden mit Schweregefühl, vergrößerte, schmerzende Brüste, in fortgeschrittenen Stadien zusätzliche Symptome durch Tochtergeschwülste (Metastasen) wie Husten und Brustschmerzen bei Lungenmetastasen.“
Diagnose: Fortgeschrittener Hodenkrebs
„Bei der Untersuchung Mitte November per Ultraschall stellte der Urologe fest, dies könnte ein schon ziemlich fortgeschrittener Hodenkrebs sein. Der HCG Tumormarker war von +15,54 IU/l auf +422,42 IU/l gestiegen. Ich bekam einen OP-Termin knapp eine Woche später.
Der Hoden wurde entfernt und ich konnte bereits Mittwoch wieder nach Hause. Die Patho-Histologie nach der OP hat ergeben: Gemischt maligner Keimzelltumor links: Embryonales Karzinom mit einzelnen AFP-positiven Zellen (70 %), Seminom mit wenigen HCG-positiven Riesenzellen (15 %), reifes Teratom (15 %).
Im Dezember 2018 und im März 2019 prüften die Ärzte den Tumormarker erneut. Die Werte waren wieder normal.“
Metastasen in der Lunge
„Anfang Mai 2019, genau sechs Monate nach der OP, war wieder eine Kontrolluntersuchung angesagt, bei der die Ärzte feststellten, dass der Tumormarker wieder gestiegen ist. Eine Untersuchung im CT Ende Mai ergab dann, dass sich in der Lunge zwei Metastasen gebildet haben. Der Arzt erklärte mir, dass hier nur noch eine Chemotherapie helfen kann.
Mitte Juni hatte ich dann einen Termin beim Onkologen. Zur histologischen Sicherung des Rezidivs erfolgte eine Punktion der Metastasen. Bei dem Termin Ende Juni wurde bei der Punktion – statt Gewebe der Metastase – Lungengewebe entnommen. Der Arzt hat daneben getroffen. Also musste nochmals eine Lungenpunktion gemacht werden.
Ein neuer Termin wurde für Anfang Juli festgelegt. Diesen Termin konnte ich nicht wahrnehmen, da an diesem Tag unsere Enkelin beerdigt wurde. Ein neuer Termin für die Biopsie wurde für Ende Juli festgelegt. Diesmal wurde eine Metastase getroffen. Das Untersuchungsergebnis war ziemlich identisch mit der Patho-Histologie des Hodens. Zur Sicherheit, dass im Kopf keine Metastasen sind, veranlasste der Onkologe ein MRT des Kopfes.
Zusätzlich erfolgte ein Lungenfunktionstest, da im Rahmen der Chemotherapie potenziell lungentoxische Medikamente verabreicht werden. Alles war in Ordnung.“
Hodenkrebs: Erfahrungen und Verlauf der Chemotherapie
„Am 19. August war der Beginn der Chemo, welche sich über neun Wochen erstrecken sollte. Die Chemo sollte über drei Zyklen zu je drei Wochen gehen: Montag bis Freitag täglich mehrere Infusionen, montags zusätzlich ein Tumorantibiotikum. Kochsalzlösung und Entwässerung gehörten immer dazu.
- Die erste Woche ging gut vorüber.
- Am Freitag der zweiten Woche ging es mir sehr schlecht. Die Werte der Leukozyten und der Thrombozyten waren sehr niedrig, ich bekam Infusionen damit es mir wieder besser ging.“
- Am Montag der dritten Woche waren die Blutwerte wieder nicht in Ordnung, so dass in dieser Woche keine Chemo gemacht werden konnte.
- In der vierten Woche ging es dann am Montag wieder weiter.
- Die fünfte Woche verlief normal.
- Die sechste Woche verlief ebenfalls normal.
- Am Montag der siebten Woche waren meine Blutwerte wieder so schlecht, dass in diese Woche wieder keine Chemo gemacht werden konnte. Mittwochs bekam ich Blut übertragen. Danach ging es mit wieder besser.
- Die achte Woche verlief ohne weitere Probleme.
- Auch die neunte Woche verlief normal.
- Am Montag der zehnten Woche waren die Blutwerte ganz schlecht. Der Onkologe überlegte, mich ins Krankenhaus zu überweisen. Aber er traf die Entscheidung, dass ich Mittwoch und Freitag Blutübertragungen bekommen sollte. Danach ging es mir wieder gut.
- In der elften Woche bekam ich montags die letzte Chemo. So dauerte der Zeitraum meiner Chemo nicht wie geplant neun, sondern elf Wochen.“
Nach der Chemo: Erschöpft aber froh
„Ich war erschöpft, aber nicht entmutigt, und heilfroh, dass es nun vorüber war. Es war eine sehr harte Zeit, in der mir mein Onkologe Mut und Hoffnung statt Angst machte. Immer wieder sagte er: ‚Halten sie durch, es rentiert sich’.
Von Beginn an hat man mir gesagt, dass dieser Krebs heilbar ist. Während meiner Krankheit war ich immer positiv eingestellt und habe daran geglaubt, dass ich geheilt werde. Diese Einstellung hat mir sehr geholfen über alle Strapazen hinweg zu kommen.“
„Ich war erschöpft, aber nicht entmutigt, und heilfroh, dass es nun vorüber war.“
Nebenwirkungen der Therapie
„Es gab einige Tage, an denen es mir gar nicht gut ging. Der systolische Blutdruck lag morgens oft um 80, da fällt es schwer sich zu bewegen. Der Mundraum war am Anfang der Chemo entzündet, eine Spülung mit Salbeitee und eine weiche Zahnbürste haben etwas zur Linderung beigetragen. Beim Spazierengehen taten mir die Fußsohlen weh. Sodbrennen hatte ich auch oft. Appetit hatte ich nicht viel, aber das Essen musste sein. Sieben Kilo habe ich in den elf Wochen abgenommen.
Am schlimmsten war für mich das Trinken. Zwei Liter sollten es täglich sein, damit die Nieren nicht angegriffen würden. Es war eine Qual, denn kein Getränk hat mir geschmeckt. Wasser hat nach Rost geschmeckt, Kaffee hat in der Speiseröhre und im Magen gebrannt, Fruchtsäfte waren es auch nicht.
Irgendwann haben meine Frau und ich einen Kaffee gefunden, der mir geschmeckt hat und bekömmlich war. Allein hätte ich mich zuhause nicht versorgen können. Ohne die große Hilfe meiner Frau wäre es nicht gegangen.“
„Ohne die große Hilfe meiner Frau wäre es nicht gegangen.“
Metastasen durch OP entfernen
„Anfang November wurde mein Blut auf den Tumormarker hin untersucht. Zusätzlich wurde ein CT vom Brust- und Bauchraum gemacht. Die Blutwerte waren ok, im CT waren die beiden Metastasen ersichtlich, gegenüber vor der Chemo kleiner im Durchmesser und an den Rändern nicht mehr rund, sondern etwas gezackt, wie zerfranst.
Der Onkologe konnte aus diesem Bild nicht ersehen ob die Metastasen abgestorben oder evtl. noch etwas vital sind. Sein Vorschlag war, sicherheitshalber die Metastasen durch eine OP zu entfernen, wollte dies aber im Kollegenkreis nochmal besprechen. Zwei Tage später teilte er mir mit, dass man sich einig sei, dass es besser wäre, die OP zu machen. Dann könnte ich sicher sein, dass nichts mehr eventuell streuen könnte.
Bereits zwei Tage später hatte ich einen Termin bei einem Thoraxchirurgen in einer Lungenklinik. Nach Auswertung einer CT-Aufnahme riet er mir zu einer Operation in Lokalanästhesie und Analogsedierung, da die Metastasen ziemlich nah am Lungenrand saßen und gut erreichbar waren.“
Die Operation war kaum belastend
„Die OP war Ende November. Die Operation dauerte 35 Minuten. Sie war für mich kaum belastend, da sie unter örtlicher Betäubung endoskopisch (thorakoskopisch) erfolgte. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich geschwächt durch die Chemo war, hätte mich sicherlich eine OP unter Vollnarkose nochmals zurück geworfen.
Fünf Tage später konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen. Bei einem Abschlussgespräch am 4. Dezember sagte mir der Chirurg, ich sei nun geheilt, da die Hodentumormetastasen der Lunge vollständig entfernt werden konnten. Dies war für mich der schönste Tag in diesem Jahr 2019.
Nun muss ich zur Kontrolle im Abstand von drei Monaten zum Onkologe um den Tumormarker im Blut zu bestimmen und zum Röntgenologen um ein CT vom Brust- und Bauchraum zu machen. Damit wird festgestellt, ob sich keine weiteren Metastasen gebildet haben.“
„Bei einem Abschlussgespräch am 4. Dezember sagte mir der Chirurg, ich sei nun geheilt, (…). Dies war für mich der schönste Tag in diesem Jahr 2019.“
Einige Beschwerden sind geblieben
„Nun, wo ich dieses schreibe, ist über ein halbes Jahr nach der Lungenoperation vergangen. Anfangs hatte ich Probleme mit der Atmung. Ich war sehr kurzatmig, was sich aber mittlerweile sehr gebessert hat. Die Probleme mit dem Blutdruck sind geblieben, oft liegt der Wert bei ca. 75 zu ca. 45. Bei diesen Werten geht der Puls hoch – Schwindel und Müdigkeit sind die Folgen.“
„Der Onkologe empfahl mir, mich mit einem regionalen Informations- und Beratungszentrum Psychoonkologie bezüglich einer Reha-Maßnahme in Verbindung zu setzen. Dies war ein sehr guter Hinweis, denn diese Institution beriet mich, wo ich welche Reha machen könnte. Sie stellte den Antrag und ich brauchte mich um Nichts zu kümmern. Drei Wochen Reha an der Ostsee wurden genehmigt.
Diese Reha habe ich Ende Mai aufgrund des Corona-Virus abgesagt. Ich bin auch wieder körperlich in einer sehr guten Verfassung, da ich mich viel in frischer Luft bewege und meinen Körper auch an Trimmgeräten kräftige.“
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