Geschäftsbericht 2022 – Interview mit Gerd Nettekoven


Geschaeftsbericht 2022_Deutsche Krebshilfe_Interview Gerd Nettekoven

Im Jahr 2022 hat die Deutsche Krebshilfe erneut maßgeblich dazu beigetragen, die Versorgung von Krebspatienten zu verbessern. Sie hat zahlreiche innovative Forschungsprojekte gefördert, krebskranken Menschen beratend beigestanden sowie umfangreich über das Thema Krebs informiert. Im Gespräch zieht der Vorstandsvorsitzende Gerd Nettekoven ein Resümee.

Hier finden Sie den aktuellen Geschäftsbericht der Deutschen Krebshilfe.

Herr Nettekoven, was waren im Jahr 2022 die Themenschwerpunkte der Deutschen Krebshilfe?

Alle unsere Aktivitäten sind darauf ausgerichtet, die Versorgung von krebskranken Menschen stetig zu verbessern. Krebs ist ein sehr breites und komplexes Thema. Wir setzen uns in hohem Maße für die Krebsforschung ein, um die Prävention, Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen weiter voranzubringen. Die Weiterentwicklung von onkologischen Versorgungsstrukturen, wie den Krebszentren, ist uns ebenfalls ein permanentes Anliegen. Auch über das Thema Krebs umfangreich zu informieren, sehen wir nach wie vor als eine zentrale Aufgabe an. So auch über das wichtige Feld der Krebsprävention. Denn es gibt viele Möglichkeiten, das eigene Krebsrisiko zu senken, die aber von vielen Menschen noch nicht genutzt werden. In diesem Sinne haben wir 124 neue Projekte und Initiativen auf den Weg gebracht.

Die Stärke der Deutschen Krebshilfe ist immer gewesen, zu wichtigen Themen, bei denen wir Handlungsbedarf sehen, Impulse zu setzen. Das haben wir auch im Jahr 2022 mit Unterstützung der zahlreichen Experten in unseren Fachausschüssen getan und damit auf unterschiedlichen Gebieten der Krebsbekämpfung erneut deutliche Akzente gesetzt.

Wie beispielsweise in der chirurgischen Onkologie. Die operativen Fächer sind für die onkologische Versorgung seit jeher von hoher Relevanz und weisen ein großes Forschungspotenzial auf. Aktuelle Entwicklungen und Innovationen zur weiteren Verbesserung von operativ-chirurgischen Verfahren bieten Chancen für effektivere Therapien, verbunden mit einer verbesserten Lebensqualität. Diesem Forschungsbedarf wollen wir Rechnung tragen und haben dafür ein gezieltes Programm auf den Weg gebracht, mit dem wir besonders innovative Projekte aus dem operativ-chirurgischen Bereich unterstützen werden.

Ein weiteres Thema befasst sich mit den Problemen von Langzeitüberlebenden nach einer Krebserkrankung. Allein in Deutschland leben über vier Millionen Menschen, die aktuell an Krebs erkrankt sind oder es einmal waren und nun als geheilt gelten. Liegt die Diagnose fünf Jahre und mehr zurück, spricht man bei den Betroffenen von sogenannten Langzeitüberlebenden. Nach überstandener Erkrankung müssen sie sich oftmals mit den körperlichen, psychischen und sozialen Langzeit- und Spätfolgen ihrer Krankheit auseinandersetzen. Und so unterschiedlich eine Tumorerkrankung verläuft, so vielschichtig sind die gesundheitlichen Bedürfnisse.

Hier ist es wichtig, eine individuelle und bedarfsgerechte Versorgung der Betroffenen sicherzustellen. Mit zwei neuen Förderprogrammen erhoffen wir uns die Entwicklung interdisziplinärer und nachhaltiger Versorgungsstrukturen für diese, auch aufgrund des medizinischen Fortschritts, immer größer werdende Gruppe.

Geschaeftsbericht 2022_Deutsche Krebshilfe_Gerd Nettekoven

Auch bei der onkologischen Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund sehen wir Handlungsbedarf und haben dieses Thema ebenfalls mit einer Förderinitiative angestoßen. Wir haben uns hier zum Ziel gesetzt, die Versorgung dieser Patientengruppe zu analysieren, mögliche Hindernisse im Gesundheitssystem zu identifizieren und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, diese Barrieren abzubauen sowie die Gesundheitskompetenz der Betroffenen zu stärken.

Darüber hinaus stand auch im Jahr 2022 die Weiterentwicklung der von uns initiierten Comprehensive Cancer Center – der Onkologischen Spitzenzentren – im Zentrum unserer Bemühungen. Mit unserer Förderung von zwei neuen Comprehensive Cancer Center-Konsortien der Universitätskliniken Würzburg, Erlangen, Regensburg und Augsburg sowie Leipzig und Jena haben wir im Süden und Osten unseres Landes weitere Lücken geschlossen, um die bestmögliche Patientenversorgung in der jeweiligen Region sicherzustellen.

Mit den Comprehensive Cancer Centern und ihren interdisziplinären Versorgungs- und Forschungsstrukturen haben wir in Deutschland die Grundlagen für eine flächendeckende, vernetzte und zukunftsorientierte Patientenversorgung geschaffen. Die von uns angestoßenen und geförderten Zentren sowie deren Weiterentwicklung finden inzwischen auch über die Grenzen Deutschlands hinaus große Beachtung.

Gab es 2022 weitere Ereignisse, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Geschaeftsbericht_Deutsche-Krebshilfe

Ja, ich denke spontan an zwei Veranstaltungen, die für die Deutsche Krebshilfe von Bedeutung waren und die auch noch an anderer Stelle dieses Geschäftsberichtes angesprochen werden. Beide mussten aufgrund der Corona-Pandemie zunächst verschoben werden. Zum einen der 35. Deutsche Krebskongress, den wir gemeinsam mit unserem Partner, der Deutschen Krebsgesellschaft, erst im November 2022 durchführen konnten. Dass sich wieder rund 10.000 Experten in Berlin eingefunden haben, um sich über wissenschaftliche, medizinische und gesundheitspolitische Entwicklungen auszutauschen, macht den hohen Stellenwert dieses Kongresses für die Onkologie in unserem Land deutlich.

Ein regelmäßiges Ereignis für die Deutsche Krebshilfe ist zudem die jährliche Vergabe des Deutsche Krebshilfe-Preises. Angesichts der besonderen Umstände durch die Pandemie konnten wir die Preise für die Jahre 2020 und 2021 nicht in gewohnter Weise vergeben. Ende 2022 haben wir das nachgeholt und dabei auch den Preis für das Jahr 2022 verliehen. Gleichzeitig erstmals auch die Deutsche Krebshilfe Medaille. Mit dieser Ehrung zeichnen wir nun einmal im Jahr Betroffene aus, die sich im hohen Maße für andere Krebspatienten und deren Angehörige eingesetzt haben.

Mit Dr. Agnes Glaus aus St. Gallen, Schweiz, Professor Claus Rödel aus Frankfurt/Main sowie Professor Hermann Brenner und Dr. Martina Pötschke-Langer (postum), beide aus Heidelberg, haben wir Persönlichkeiten ausgezeichnet, die auf den Gebieten der onkologischen Pflege, Strahlentherapie und Krebsprävention Großartiges geleistet haben. Die Deutsche Krebshilfe-Medaille erhielt Maria Haß von der Selbsthilfeorganisation Deutsche ILCO.

Überdies möchte ich hervorheben, dass wir mit unserer Arbeit im vergangenen Jahr erneut auch viele Themen in die öffentliche Wahrnehmung gebracht haben. So haben wir den Weltkrebstag am 4. Februar 2022 dazu genutzt, auf die aus unserem Blickwinkel noch vorhandenen Lücken in der onkologischen Versorgung aufmerksam zu machen.

Auch haben wir 2022 die Bevölkerung wieder für die Gefahren übermäßiger UV-Strahlung sensibilisiert. Erwähnen möchte ich hier eine ganz besondere Initiative. Gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, der Timmendorfer Strand Niendorf Tourismus GmbH, dem Deutschen Wetterdienst, dem Bundesamt für Strahlenschutz und dem Hautkrebs-Netzwerk Deutschland haben wir damit begonnen, ein einfaches, aber sehr wirksames UV-Warnsystem für unsere Strände zu etablieren. Die Pilotphase haben wir am Timmendorfer Strand an der Ostsee durchgeführt. Die Ergebnisse haben uns und unsere Partner derart überzeugt, dass wir beschlossen haben, das Warnsystem bis Ende 2024 an möglichst vielen Standorten zu etablieren.

Das vergangene Jahr hat der Deutschen Krebshilfe aber auch Anlass zur Trauer gegeben. Im September 2022 haben wir zwei unserer Organisation sehr nahestehende Menschen verloren. Unsere ehemalige Präsidentin, Professor Dr. Dagmar Schipanski, verstarb am 7. September. Unser ehemaliger Präsident, Dr. h.c. Fritz Pleitgen, nur wenige Tage später am 15. September. Wir werden beide Persönlichkeiten, die unsere Arbeit über viele Jahre bedeutend mitgeprägt haben, in dankbarer Erinnerung behalten.

Welche Impulse konnte die Deutsche Krebshilfe in der Gesundheits- und Forschungspolitik setzen?

Der beständige Austausch mit den Entscheidungsträgern in der Gesundheits- und Forschungspolitik ist für unsere umfangreichen Aktivitäten von immenser Bedeutung. Nur so finden wir mit unseren Anliegen und somit auch mit den Anliegen der vielen Krebspatienten in unserem Land entsprechendes Gehör – und nur so können wir aus unserem Blickwinkel wichtige Themen diskutieren und gemeinsam voranbringen. Denn mit unseren Projekten und Initiativen geben wir oft wichtige Anstöße mit dem Ziel, dass diese von den politischen Stellen aufgegriffen werden. Wir sind sowohl in verschiedenen Gremien des „Nationalen Krebsplans“ des Bundesministeriums für Gesundheit vertreten als auch der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Geschaeftsbericht_Dr. Franz Kohlhuber und Gerd Nettekoven_Bild_Deutsche-Krebshilfe_Regina-Brodehser

Ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Forschungspolitik ist das Thema „Risikoadaptierte Krebs-Früherkennung“, das uns, aber auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ bewegt. Hier haben wir abgestimmt zwei Förderprogramme auf den Weg gebracht und an die wissenschaftliche Community adressiert, die sich sinnvoll ergänzen und zudem den Themenkomplex verstärkt angehen. Mit diesen Programmen verfolgen beide Partner die gemeinsame Vision, zukünftig jedem Menschen aufgrund seiner Lebensstilfaktoren, seiner genetischen Vorgeschichte sowie seiner möglichen Vorerkrankungen eine risikoadaptierte Krebsfrüherkennung anbieten zu können.

Politische Impulse setzen wir aber auch mit der seit einigen Jahren gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Deutschen Krebsgesellschaft durchgeführten „Nationale Krebspräventionswoche“. Im Jahr 2022 haben wir die Woche im vergangenen September genutzt, um ein wichtiges Thema in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit zu rücken: den Einfluss von Alkoholkonsum auf das Krebsrisiko.

Dieser ist erheblich, denn jedes Jahr gehen laut Schätzungen von Experten mehr als 20.000 Krebsneuerkrankungen auf den Konsum von Alkohol zurück. Wir haben an die Politik appelliert, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um Menschen eine gesunde Lebensweise einfacher zu ermöglichen. Steuererhöhungen und Werbeeinschränkungen für Alkohol sowie eine Erhöhung des Abgabealters auf 18 Jahre sind evidenzbasierte Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen.

Welche Mittel standen Ihnen im Geschäftsjahr 2022 für Ihre Arbeit zur Verfügung?

165 Millionen Euro hat die Deutsche Krebshilfe im vergangenen Jahr an Einnahmen verzeichnen können. Allein 96 Millionen Euro stammten aus Erbschaften und Vermächtnissen. Damit stellten die der Deutschen Krebshilfe anvertrauten Nachlässe wie in den vorangegangenen Jahren erneut den größten Einzelposten unter unseren Einnahmen dar. Ein großer Teil der Erbschaftserlöse fließt in neue Forschungsprojekte – damit kommen wir dem Wunsch vieler Menschen nach, die uns in ihrem Testament bedacht haben. Aber auch die rund 370.000 Einzelspenden von Privatpersonen, Unternehmen oder auch Stiftungen mit 35 Millionen Euro, die Erlöse aus Benefizaktionen sowie Jubiläums- und Kondolenzspenden zugunsten der Deutschen Krebshilfe haben unsere erfolgreiche Arbeit im vergangenen Jahr ermöglicht. Diese erfreulichen Zahlen zeigen, dass unsere Arbeit von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird und dass wir mit dem breit angelegten Spektrum unserer Aktivitäten richtig liegen.

Auch unsere Wirtschaftlichkeit ist sicher mit ein Grund für unsere Glaubwürdigkeit: Unsere Kosten für Verwaltung und Spendenakquise sowie unsere sonstigen Kosten lagen 2022 bei insgesamt 5,7 Prozent. Die Projektnebenkosten beliefen sich auf 2,8 Prozent.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Geschaeftsbericht 2022_Deutsche Krebshilfe - Dr. Franz Kohlhuber und Gerd Nettekoven

Die Deutsche Krebshilfe setzt sich jetzt seit fast 50 Jahren unentwegt für krebskranke Menschen ein. Wir haben auf allen Gebieten der Krebsbekämpfung immer Impulse gegeben und mit den von uns geförderten Projekten, langfristig angelegten Förderprogrammen und Initiativen sowie mit unserer umfangreichen Informations- und Aufklärungsarbeit Vieles nachhaltig bewirken können. Ebenso mit unserem schon angesprochenen Einsatz auf gesundheits- und wissenschaftspolitischer Ebene. Diese Rolle müssen wir auch in Zukunft wahrnehmen.

Von den über 500.000 Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die derzeit jährlich in Deutschland die Diagnose Krebs erhalten, wird die Hälfte heute wieder gesund. Bei Kindern und Jugendlichen sind es sogar vier von fünf der Betroffenen. Im Zeitfenster der Gründung der Deutschen Krebshilfe war dies noch eine ganz andere Situation. Trotz dieser positiven Entwicklung sind die Herausforderungen, vor denen wir nach wie vor stehen, erheblich. Unser Ziel muss es letztlich sein, allen Betroffenen Heilungschancen zu ermöglichen.

Wir haben immer den Anspruch gehabt, Herausforderungen auch mit strategischen und innovativen Ansätzen zu begegnen. Die Förderung der Krebsforschung wird daher auch in Zukunft einen hohen Stellenwert bei unserer Arbeit einnehmen, beispielsweise auf dem Gebiet des Bauchspeicheldrüsenkrebses – einem Tumor, dem wir therapeutisch fast immer noch machtlos gegenüberstehen. Aber auch viele andere wichtige Themen, die unmittelbar die Versorgung von Krebspatienten betreffen, haben wir derzeit im Blick, wie die Arzt-Patienten-Kommunikation, die oft nicht nach unseren Vorstellungen geführt wird, die onkologische Pflege, oder auch supportive Maßnahmen wie die begleitende Musiktherapie in der Krebsbehandlung. All dies sind nur Beispiele von Themen, mit denen sich derzeit die Experten in unseren Fachausschüssen eingehend befassen und zu denen derzeit Initiativen der Deutschen Krebshilfe vorbereitet werden.

Um solche Vorhaben auch umsetzen und unsere bisherige Rolle als Impulsgeber in der Krebsbekämpfung auch in Zukunft wahrnehmen zu können, benötigen wir weiterhin das große Vertrauen unserer Spender und Unterstützer. Nur sie versetzen uns letztlich in die Lage, uns für krebskranke Menschen stark zu machen, ihnen helfen zu können und wichtige Projekte und Initiativen auf den Weg zu bringen.

Von daher wünsche ich mir, dass unsere Spender und die Menschen unsere Arbeit auch künftig anerkennen, an unserer Seite bleiben und uns ihr Vertrauen schenken.

Weitere Informationen

Zahlen, Daten, Fakten sowie Mittelherkunft und -Verwendung finden Sie im aktuellen Geschäftsbericht der Deutschen Krebshilfe.

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