Mildred Scheel – Gründerin der Deutschen Krebshilfe


Mildred Scheel - Deutsche Krebshilfe

Klug, unabhängig, meinungsstark und tatkräftig: Dr. Mildred Scheel, geborene Wirtz, war Ärztin, Gründerin der Deutschen Krebshilfe und Ehefrau des damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel. Durch ihr unermüdliches Engagement schaffte sie es, dem Tabuthema Krebs ein Ende zu setzen. Sie wird eine der bedeutendsten Frauen der Nachkriegszeit und ein Vorbild für viele Frauen ihrer Generation.

Seit über 45 Jahren hält die Deutsche Krebshilfe die Vision ihrer Gründerin lebendig: krebskranken Menschen zu helfen und ihnen Hoffnung zu geben.

Kindheit und Jugend

Schon als kleines Mädchen interessiert sich Mildred brennend für alles, was mit Medizin zu tun hat: Puppen und Teddys „operiert“ sie. Noch bevor Mildred Wirtz in die Schule kommt, begleitet sie ihren Vater regelmäßig in dessen Praxis – eine Gewohnheit, die beiden guttut und die Mildred über viele Jahre hinweg beibehält.

Dort beobachtet das Kind, wie der Vater „mit einer Mischung aus Energie und menschlicher Wärme“ seine Patienten behandelt, und erlebt die Verbindung von „menschlicher Hoffnung und ärztlicher Nüchternheit“. Der Grundstein für den späteren Beruf ist gelegt: Mildred Wirtz möchte nichts anderes, als ihrem Vater nachzueifern. „Gerade dieses Geheimnis, gesund machen zu können, weckte in mir den immer stärker werdenden Wunsch, es ihm eines Tages gleichzutun,“ beschreibt sie später ihre Berufswahl. Zuvor müssen jedoch Schule und Studium absolviert werden.

Schulzeit

Mildred Wirtz wird mit sechs Jahren in die Grundschule in Köln-Bayenthal eingeschult, überspringt die vierte Klasse und wechselt im Alter von neun Jahren auf das Kölner Lyceum. Ihre Lieblingsfächer kristallisieren sich schnell heraus: Englisch und Turnen, Biologie und Chemie. Der Eifer, den sie hier investiert, fehlt an anderer Stelle – wie etwa bei Mathematik und Latein. Dies bringt ihr besonders im letzteren Fall wiederholte Kritik von ihrem Vater ein, der ein strengwachsames Auge auf die Ausbildung seiner Kinder hat.

Musische Ambitionen sind bei Mildred ebenfalls nicht übermäßig ausgeprägt. Sie akzeptiert, dass das Erlernen eines Instruments zum guten Ton gehört, und versucht, beim Klavierspielen mit minimaler Energie ein optimales Ergebnis zu erzielen: Sie präsentiert ihren Eltern immer wieder ein einziges Menuett in Perfektion – und zwar so lange, bis der Schwindel auffällt und ihr der Klavierunterricht erlassen wird.

Familie Wirtz - Mildred Scheels Jugend

Während des 2. Weltkriegs

Der 2. Weltkrieg bricht in diese heile Kinderwelt zunächst unmerklich, später zunehmend drastischer ein. Köln wird immer öfter das Ziel alliierter Bombenangriffe, und nachdem die Praxis von Dr. Wirtz mehrfach zerstört wurde, zieht die Familie 1944 nach Amberg zur Schwester des Vaters. Es war ein vorausblickender Entschluss, der wahrscheinlich allen das Leben gerettet hat: Am 2. März 1945 wird das Wohnhaus der Familie in Köln-Marienburg in Schutt und Asche gelegt.

In Amberg besucht Mildred das Mädchen-Gymnasium und sammelt nach Kriegsende erste praktische medizinische Erfahrungen. Sie meldet sich zur Krankenpflege verletzter Flüchtlinge, von denen viele Tausend nach Bayern strömen. Mildred Wirtz ist zu diesem Zeitpunkt vierzehn Jahre alt.

Als junge Erwachsene

Nach dem Abitur kann Mildred endlich ihrer Berufung folgen: Sie studiert Medizin in München, Innsbruck und Regensburg, besteht ihr Physikum nach dem vierten Semester. Sie absolviert ihr Staatsexamen in München mit Bravour und findet dort eine Anstellung als Medizinalassistentin in München. Da sie später die Praxis ihres Vaters übernehmen möchte, schlägt sie die Fachrichtung Röntgenologie ein.

Aber noch bevor Mildred ihre Facharztausbildung abschließen kann, erliegt ihr Vater, ihr großes Vorbild, 1962 überraschend einem Herzinfarkt. Die Praxis in Amberg wird daraufhin verkauft, sodass sich die angehende Röntgenärztin eine neue berufliche Heimat suchen muss.

Alleinerziehende Mutter und Ärztin

1963 erlebt Mildred Wirtz einen weiteren wichtigen Einschnitt in ihrem Leben: Am 28. März wird ihre Tochter Cornelia geboren. Fortan bewältigt die Ärztin die Doppelbelastung von alleinerziehender Mutter und Berufstätigkeit.

Um bei der Eröffnung einer eigenen Praxis auf möglichst vielfältige Berufserfahrungen zurückgreifen zu können, arbeitet sie in verschiedenen Krankenhäusern und übernimmt Vertretungen in Privatpraxen.

Kennenlernen mit Walter Scheel

Hochzeit Mildred Scheel und Walter Scheel

1967, bei einer Urlaubsvertretung im „Alpensanatorium“ am Tegernsee lernt Frau Dr. Wirtz Walter Scheel kennen, der sich dort von einer Nierenstein-Operation erholt.

Am 18. Juli 1969 heiraten Mildred Wirtz und Walter Scheel auf dem Standesamt in München-Schwabing.
Für die damals 36-jährige Ärztin ist damit nicht nur der Umzug nach Bonn verbunden, sondern gleichzeitig der Abschied von ihrem bisherigen Leben.

Mildred Scheel als „Politikerfrau“

Aus der engagierten Medizinerin, die für ihren Beruf und ihre Tochter lebt, wird eine Politikerfrau. Fortan muss sie sich den Zwängen des Terminplans ihres Mannes – Walter Scheel wird im Oktober 1969 Außenminister – und des Protokolls anpassen. An den Aufbau einer eigenen Arztpraxis ist in dieser Situation nicht mehr zu denken.

Zusätzlich zu den Repräsentationspflichten als Gattin des Außenministers nimmt noch eine weitere Aufgabe Mildred Scheels ganze Aufmerksamkeit in Anspruch: die sich vergrößernde Familie. Am 21. Juli 1970 wird Andrea-Gwendolyn geboren und 1971 adoptieren die Scheels auf einer Bolivienreise den indianischen Waisenjungen Simon-Martin.

Familienleben und berufliche Verpflichtungen

So wie sie es aus ihrem Elternhaus kannte, legt Mildred Scheel großen Wert auf ein intaktes und harmonisches Familienleben. Dazu gehört, dass die Mutter trotz aller beruflichen Verpflichtungen immer für ihre Kinder erreichbar ist.

Annemarie Kerp, eine langjährige Mitarbeiterin Mildred Scheels, berichtet: „Oft ließ sie sich einen Anruf von zu Hause direkt in eine Besprechung hinein vermitteln und redete dann vor einer erstaunten Versammlung von Männern in Nadelstreifenanzügen über Schule, Kleidung und Halsschmerzen.“

Wichtige Familientreffpunkte sind die gemeinsamen Mittags- und Abendmahlzeiten. Bei diesen Gelegenheiten sind die Eltern als zuverlässige Ansprechpartner für ihre Kinder da.

Das Leben als First Lady

Queen Elisabeth Mildred Scheel und Walter Scheel

Als Walter Scheel am 15. Mai 1974 zum Bundespräsidenten gewählt wird, übernimmt Mildred Scheel die Pflichten der „First Lady“. Dazu gehört auch, dass sie sich für eine soziale Aufgabe einsetzt.

Dies ist der Zeitpunkt, in dem Dr. Mildred Scheel an ihre früheren Jahre anknüpft: Die Röntgenfachärztin war während ihrer Berufstätigkeit fast täglich mit dem Leiden von Krebskranken konfrontiert.

Gründung der Deutschen Krebshilfe

Mildred Scheel wusste um das Leiden und das Schweigen, das die Krankheit Krebs zu der damaligen Zeit umgab. Zusammen mit sieben Mitstreitern gründet Mildred Scheel am 25. September 1974 in der Bonner Villa Hammerschmidt die Deutsche Krebshilfe.

Um unabhängig und unbürokratisch handeln zu können, verzichtet die Organisation von Anfang an auf öffentliche Gelder.

Deutsche Krebshilfe Gruendung 1974

„Eine Jahrhundert-Frau mit einer Jahrhundert-Idee.“ (Fritz Pleitgen)

Allen Beteiligten ist klar, dass es jetzt auf die zuverlässige Unterstützung der Bürger ankommt. Mildred Scheel fordert die Menschen auf, sich für den Kampf gegen den Krebs zu engagieren.

Und sie hat Erfolg. Bereits kurz nach ihrer Gründung stattet die Deutsche Krebshilfe Kliniken mit modernen medizinischen Geräten zur Krebsdiagnostik und -therapie aus und startet erste, bundesweite Aufklärungsaktionen.

Mildred Scheel ist beliebt

Autogrammstunde Mildred Scheel

In den Jahren 1977, 1978 und 1979 wird sie in der Bundesrepublik zur „Frau des Jahres“ gewählt. Ihre Impulsivität, unbekümmerte Kühnheit, die Sympathie und Anerkennung, die ihr und ihrem Mann entgegengebracht werden, lassen die Entwicklung der Deutschen Krebshilfe zu einer Erfolgsgeschichte werden.

Unermüdlicher Einsatz für die Krebshilfe

Mit großem persönlichen Einsatz und unglaublicher Energie setzt Mildred Scheel ihre Ideen in die Tat um. Oft arbeitet sie bis spät in die Nacht.

Wenn die Geschäftsstelle der Deutschen Krebshilfe Dienstschluss hat, werden die Telefongespräche zu Mildred Scheel nach Hause weitergeleitet. Für ihre Mitarbeiter ist das oberste Gebot: „Sagen Sie niemals: ‘Rufen Sie wieder an’, wenn jemand verzweifelt Auskunft über Krebs verlangt.“

Im Gespräch mit Betroffenen ist sie stets eine mitfühlende, warmherzige Zuhörerin, die Rat gibt und Hoffnung spendet. Umso unnachgiebiger ist Mildred Scheel, wenn es darum geht, ihre Pläne gegen Bürokratismus und Vorschriften durchzusetzen.

„Sagen Sie niemals: ‚Rufen Sie wieder an‘, wenn jemand verzweifelt Auskunft über Krebs verlangt.“

Mildred Scheel - Post an die Deutsche Krebshilfe

Unerschrocken beim Sammeln von Spenden

Mildred Scheel im Buero der Deutschen Krebshilfe in Koeln

Beeindruckend ist auch ihre Unerschrockenheit beim Sammeln von Spenden, die sie für ihre Arbeit benötigt. Selbst Staatsbesuche nutzt sie als Plattform dafür: Beim Besuch in Moskau 1975, ihrem zweiten Staatsbesuch überhaupt, erscheint sie mit einer besonders großen Abendtasche.

Der Grund: Die Tasche enthält ein Sparbuch zugunsten der Deutschen Krebshilfe. Die Repräsentanten der damaligen Sowjetunion geben ihr Autogramme, die später für den wohltätigen Zweck versteigert werden.

Mildred Scheel erkrankt an Krebs

Es ist wie ein Hohn des Schicksals, dass Mildred Scheel knapp zehn Jahre nach Gründung der Deutschen Krebshilfe selbst an Krebs erkrankt.
Bis kurz vor ihrem Tod wird diese Tatsache vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Zu groß ist ihre Angst, dass ihr Lebenswerk gefährdet werden könnte. Denn sie befürchtet: „Die Leute verlieren die Hoffnung und die Zuversicht, wenn sie erfahren, dass die Präsidentin der Krebshilfe selbst Krebs hat“.

Dieter Thomas Heck_Walter Scheel_Mildred Scheel in ZDF-Sendung Erinnerungen in Musik nach Tod Mildred Scheel

Aber es tritt genau das Gegenteil ein: Die Unterstützung für die Deutsche Krebshilfe nimmt weiter zu.
Dr. Mildred Scheel stirbt am 13. Mai 1985. Sieben Tage später findet der Trauergottesdienst für sie im Bonner Münster statt. Während in der Kirche die Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur von ihr Abschied nimmt, verfolgen Tausende von Menschen die Zeremonie draußen über Lautsprecher. Mildred Scheel findet ihre letzte Ruhestätte auf dem Alten Friedhof in Bonn.

Buchtipp: Mildred Scheel – Erinnerungen an meine Mutter

Cornelia Scheel ist die erstgeborene Tochter von Mildred Scheel.

In diesem sehr persönlichen Buch erinnert sie sich an ihre Mutter, eine leidenschaftliche, warmherzige und kompromisslose Frau, die sich keine Sekunde um Konventionen scherte.

Heute ist Cornelia Scheel Vorsitzende des Mildred-Scheel-Förderkreises der Deutschen Krebshilfe.

Cornelia Scheel - Erinnerungen an meine Mutter

Mildred Scheels Lebenswerk

Mildred Scheel gelingt es, ihr soziales Lebenswerk in der Gesellschaft zu verankern und für die nachfolgenden Generationen zu sichern. Das bürgerschaftliche Engagement vieler trägt ihre Arbeit weiter.

Lange Zeit war Krebs ein Thema, vor dem die Menschen zurückschreckten. Ihre Einstellung dazu war von Angst und Hilflosigkeit geprägt, sie sprachen noch nicht einmal das Wort aus. Krebs war ein Tabu.

Es war Mildred Scheels ureigenstes Anliegen, dieses Tabu zu brechen. Sie wollte den Menschen die Sprachlosigkeit nehmen, die sich ausbreitete, sobald es um die Krankheit Krebs ging. Denn Sprachlosigkeit macht einsam und Einsamkeit macht krank.

Und sie wollte den Menschen klarmachen, wie wichtig die Krebsfrüherkennung ist. Zu oft war sie während ihrer Zeit als Röntgenärztin Patienten begegnet, denen nicht mehr geholfen werden konnte, weil ihre Krankheit zu spät erkannt worden war.

Mildred Scheel - Protraitbild

Mit beeindruckender Tatkraft verwirklichte Mildred Scheel ihre Vision einer bürgernahen Deutschen Krebshilfe.

Sie war nicht nur die Initiatorin, die die Deutsche Krebshilfe ins Leben gerufen hatte, sondern auch die treibende Kraft, die immer wieder neue Impulse gab.

Mildred Scheel holte sich kompetente Fachleute, die gemeinsam mit ihr und dem Vorstand der Deutschen Krebshilfe Strategien entwickelten, wie und wo sie die von der Bevölkerung gespendeten Gelder am sinn- und wirkungsvollsten einsetzen können.

Die Behandlung von Krebskranken zu humanisieren, lag ihr besonders am Herzen. „Denn“, so betonte sie immer wieder, „die Seele des Patienten braucht ebenso viel Hilfe wie sein Körper.“

Video: 40 Jahre Deutsche Krebshilfe (2014)

Deutsche Krebshilfe – Meilensteine

Die Meilensteine, die die Deutsche Krebshilfe seit 1974 verzeichnet, bezeugen, wie richtig Mildred Scheels Entschluss war, die Organisation zu gründen. Die Bevölkerung brachte der Deutschen Krebshilfe von Beginn an der Arbeit und den Leistungen Vertrauen entgegen.

Das jährliche Spendenaufkommen belegt es eindrucksvoll: In den ersten fünfzehn Monaten nach ihrer Gründung konnte die Deutsche Krebshilfe bereits Einnahmen von mehr als 4,6 Millionen Euro verzeichnen. 1984 – beim zehnjährigen Bestehen – waren es 18,9 Millionen. Zur Jahrtausendwende erhielt die Deutsche Krebshilfe rund 71,5 Millionen Euro, und im Jahr 2019 lagen die Einnahmen bei 127,6 Millionen Euro.

Informationen zu Förderprojekten sowie zur Mittelherkunft und -verwendung finden Sie in unserem aktuellen Geschäftsbericht.

Das Erfolgskonzept der Deutschen Krebshilfe

Der Erfolg der Deutschen Krebshilfe basiert auf dem Engagement vieler Menschen und ist, wie Mildred Scheel es einmal formulierte, „eine der größten Leistungen unserer Mitbürger auf gesundheitspolitischem Gebiet“.

Bürger ergreifen Initiative und tragen persönlich dazu bei, den Kampf gegen den Krebs zu führen – dies ist das Konzept der Deutschen Krebshilfe.

Heute ist die Deutsche Krebshilfe eine feste Größe im deutschen Gesundheitswesen.

Sie möchten spenden & helfen?

„Je mehr Förderer sich gegen den Krebs und für krebskranke Menschen stark machen, desto mehr Hoffnung können wir schenken. Für Ihre dauerhafte und nachhaltige Unterstützung bedanke ich mich von Herzen.“ – Cornelia Scheel, Tochter von Dr. Mildred Scheel

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