Arbeitsausfall, Berufsunfähigkeit, Minirente: Die Folgen einer Krebserkrankung können das soziale und finanzielle Gefüge von Betroffenen und ihren Familien bedenklich ins Wanken bringen.
Rund 510.000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an Krebs. Dank intensiver Forschung haben Krebspatienten heute deutlich bessere Chancen, die Krankheit zu überleben als noch vor etwa 30 Jahren – ein erheblicher Fortschritt, der aber auch neue Herausforderungen birgt …
… und dann noch das Risiko, arm zu werden.
Einfach mal ein paar Stifte kaufen, um sich ihrem Hobby, dem Malen, zu widmen – das ist für Kathrin L.* heute nicht mehr möglich. Nach ihrem Studium hat die junge Frau gerade vier Jahre gearbeitet als sie mit 31 Jahren die Diagnose erhält: metastasierter Brustkrebs. Nach dem Krankengeld erhält sie Arbeitslosengeld, dann Hartz IV. Finanzielle Rücklagen hat Kathrin L. heute keine mehr.
Auch Heidi F. trifft die Armut völlig unerwartet. 2011 erhält sie die Diagnose Darmkrebs. 2014 wird ein Rezidiv entdeckt. Eigentlich habe sie als Medizinisch-Technische Assistentin ein gutes Einkommen gehabt, so die heute 56-Jährige.
Aber durch die therapiebedingten Gewichtsabnahmen habe sie immer wieder neue Kleider kaufen müssen. Dann die Fahrtkosten zur Behandlung, Zuzahlungen für notwendige Hilfsmittel, Medikamente, die von Ärzten als wichtig erachtet, aber nicht von der Krankenkasse gezahlt worden seien: „Es bleibt nichts übrig.“ Als Betroffener werde man „von Behörde zu Behörde“ weitergereicht. Eine persönliche Rücksprache? Fristverlängerungen? Oft erfolglos, schildert Kathrin L. frustriert. Man schwanke zwischen Wut, Fassungslosigkeit und Angst. Und das alles während einer ohnehin kräftezehrenden Therapie.
Armut und Bürokratiedschungel
Der Bürokratiedschungel, bestätigt Jürgen Walther vom Sozialdienst des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg, sei für viele Betroffene kaum zu bewältigen. Und die Zeit, in der Krankengeld gezahlt werde, sei für lange, notwendige Therapien nur kurz. Viele Betroffene würden zudem vorschnell in die Rente gedrängt.
„Wer glaubt, dass wir in unserem Sozialsystem so weit vorgesorgt haben, dass uns Krankheit wirtschaftlich nichts oder nur wenig anhaben kann, irrt“, so Andrea Hahne vom Bundesverband Haus der Krebs-Selbsthilfe in Bonn. Auch die Deutsche Krebshilfe erfährt regelmäßig, wie stark Krebspatienten von finanziellen Sorgen betroffen sein können. Etwa jeder Zehnte Anrufer beim Informations- und Beratungsdienst INFONETZ KREBS ist mit finanziellen Folgen bis hin zur Armut konfrontiert. Viele schämen sich für ihre Geldsorgen und möchten erst gar nicht darüber sprechen.
Mit ihrem Härtefonds unterstützt die Organisation Krebspatienten, die unverschuldet in finanzielle Not geraten. Rund 12.000 Anträge erreichen die Deutsche Krebshilfe jedes Jahr. Allein im Jahr 2019 unterstützte sie auf diesem Weg über 7.400 Menschen mit insgesamt 4,6 Millionen Euro.
Das Armutsrisiko ist real
Bislang gibt es allerdings nur wenige Studien zum Thema „Krebs und Armut“. Erste Forschungsergebnisse bestätigen aber: Das Armutsrisiko ist real. Für mindestens ein Drittel der an Krebs erkrankten Menschen ist Armut eine gelebte und bittere kausale Realität. Besonders betroffen: Junge Patienten, Betroffene mit einem niedrigen Einkommen, Krebspatienten mit einem hohen Einkommensverlust oder mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, Alleinstehende und Selbstständige. Rund 40 Prozent der Krebspatienten erkranken im erwerbsfähigen Alter.
Viele Krebspatienten wüssten gar nicht, wohin sie sich mit ihren Fragen wenden könnten, so Experten. Der Zugang zu Sozialberatungen, zum Beispiel durch flächendeckende Krebsberatungsstellen, müsse dringend verbessert werden. Auch die Kommunikation zwischen den einzelnen Leistungsträgern – Krankenkassen, Rentenversicherung und Arbeitsamt – müsse besser miteinander koordiniert werden.
Krebs darf nicht arm machen
Die finanziellen Folgen einer Krebserkrankung sind für die Deutsche Krebshilfe ein Thema, dem die Organisation in Zukunft hohe Beachtung schenken wird. So diskutierten bereits zum 13. „Tag der Krebs-Selbsthilfe“ am 7. November 2018 rund 100 Teilnehmer unter dem Titel „Krebs und Armut“ mit Vertretern aus Medizin, Forschung und Sozialarbeit, um notwendige Verbesserungen in der finanziellen Situation von Krebspatienten anzustoßen.
Im Fokus der Gespräche: Akute Wissensdefizite und notwendige Versorgungsforschung, mangelnde Kommunikation zwischen den einzelnen Leistungsträgern sowie erforderliche Gesetzesänderungen. Nach einer Talkrunde mit Betroffenen und Expertenbeiträgen aus unterschiedlichen Fachrichtungen standen in einer abschließenden Podiumsdiskussion Fragen wie „Wann ist der richtige Zeitpunkt, um Betroffene sozialrechtlich zu beraten?“, „Wo erhalten Krebspatienten finanzielle und bürokratische Unterstützung?“ ebenso im Mittelpunkt, wie die Debatte um den Wiedereinstieg in den Beruf. Professor Rolf Rosenbrock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband zeigte sich optimistisch: Mit dem Tag der Krebs-Selbsthilfe habe man bereits einen wichtigen Akzent gesetzt. Je häufiger das Thema „Krebs und Armut“ in der Öffentlichkeit platziert werde, desto besser seien die Chancen, Verbesserungen bei den verantwortlichen Leistungsträgern und in der Politik anzustoßen.
Krebs und Armut
Zum Schluss der Veranstaltung hielt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven, als nächsten Schritt einen gemeinsamen von Experten und der Krebs-Selbsthilfe zu erarbeitenden Forderungskatalog fest, der Missstände benennt und konkrete Lösungsvorschläge anbietet. Dies mit dem Ziel, in einen konstruktiven Dialog mit Verantwortlichen aus Politik, Leistungsträgern und Versorgung einzutreten.
Das Positionspapier „Krebs und Armut“ wurde im Juni 2020 veröffentlicht. Gemeinsam mit dem Haus der Krebs-Selbsthilfe – Bundesverband e.V. steht die Deutsche Krebshilfe seitdem im Austausch mit Vertretern aus der Politik und der Sozialversicherungsträger.
Seit 2005 lädt die Deutsche Krebshilfe, gemeinsam mit den von ihr geförderten Krebs-Selbsthilfeorganisationen, jährlich zum „Tag der Krebs-Selbsthilfe“ ein. Die Veranstaltung zielt darauf ab, die Bedeutung und den Nutzen von Selbsthilfe für Krebspatienten zu stärken, deren Akzeptanz zu verbessern sowie Versorgungsdefizite zu benennen.
*Kathrin L. ist in der Zwischenzeit leider an ihrer Krebserkrankung verstorben. Unsere Gedanken sind bei ihrem Ehemann, ihrer Familie und ihren Freunden.