Akute lymphatische Leukämie: Melissas Geschichte


Akute Lymphatische Leukaemie - Melissa Deutsche Krebshilfe_Jan Klee

Melissa ist gerade einmal drei Jahre alt, als sie an akuter lymphatischer Leukämie (ALL) erkrankt. Das sonst so energiegeladene Mädchen hat plötzlich weder Kraft noch Lust zum Spielen. Eine neuartige Therapie soll ihr dabei helfen, wieder gesund zu werden.

Endlich kann Melissa wieder toben

Wie ein kleiner Wirbelwind saust Melissa durch das lichtdurchflutete Wohnzimmer ihres Zuhauses und schnappt sich selbstsicher die bunten Spielklötze. Sorgfältig legt sie die tellergroßen Balanciersteine hintereinander auf den gemusterten Teppich – gelb hinter blau, blau hinter orange. Jetzt will die Fünfjährige zeigen, was sie kann: geschickt hüpft sie von einem Stein zum anderen, ohne dabei den Boden zu berühren. Von links nach rechts und wieder zurück – immer mit einem stolzen Lächeln im Gesicht.

„Melissa genießt es sehr, herumzurennen und zu toben”, sagt Melissas Mutter Karolin Sauerland, die ihrer Tochter zufrieden zusieht. Sie ist dankbar, dass Melissa ihre Energie zurückhat. Noch vor Kurzem war an Momente wie diese nicht zu denken.

Leukaemie - Melissa - Deutsche Krebshilfe_Jan Klee

Die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche KinderKrebshilfe finanzieren fast alle derzeit in Deutschland laufenden Therapiestudien bei Kindern. Die Erfolge aus der Forschung und Medizin sind beeindruckend. Während die Diagnose Leukämie bei einem Kind noch vor vier Jahrzehnten einem Todesurteil gleichkam, liegen die Heilungschancen für Kinder heutzutage bei annähernd 90 Prozent!

Leukämie: Melissas Symptome

Ende des Jahres 2020 treten bei dem damals dreijährigen Mädchen beunruhigende Symptome auf. Karolin Sauerland erinnert sich: „Melissa war seit ein paar Tagen sehr müde und fühlte sich schlapp. Außerdem hatte sie viele blaue Flecken, die nicht wieder verschwanden. Einige von ihnen waren sehr ungewöhnlich und sahen fast wie Beulen aus. Als beim Zähneputzen dann Zahnfleischbluten hinzukam, ging ich direkt mit ihr zum Kinderarzt.” Nach einer Blutentnahme stellt der Arzt noch in der Praxis die schockierende Diagnose: Melissa leidet an akuter lymphatischer Leukämie (ALL) – Blutkrebs.

Diagnose Blutkrebs: Schock für die gesamte Familie

Blutkrebs ALL - Melissa Deutsche Krebshilfe_Jan Klee

Sofort fährt Vater David Sauerland mit seiner Frau, seiner Tochter und dem erst drei Monate alten Sohn Ruben in das nahe Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Während die Eltern wie betäubt sind, hüpft Melissa fröhlich über die Flure der Kinderonkologie. Sie versteht nicht, was die Diagnose bedeutet.

„Wir haben uns gleich vom ersten Tag in Kiel sehr gut aufgehoben gefühlt und dem medizinischen Personal vertraut. Das hat uns die Ruhe gegeben, mit der Situation bestmöglich umzugehen”, erzählen Melissas Eltern. Am Universitätsklinikum erfahren sie auch von einer Studie, die zum Ziel hat, die Therapie für junge Krebspatienten effektiver und schonender zu gestalten. Die beteiligten Wissenschaftler untersuchen, ob die bisherige Standardtherapie – eine hochintensive Chemotherapie – zukünftig durch eine sogenannte Immuntherapie ergänzt oder sogar teilweise ersetzt werden kann. Denn diese zerstört nur die Krebszellen – anders als die sehr toxische Chemotherapie, die auch gesunde Zellen angreift. Für krebskranke Kinder und ihre Familien ist das eine erhebliche Entlastung, denn insbesondere für die jungen Krebspatienten ist die Chemotherapie sehr belastend.

Die Langzeitstudie wird von der Deutschen Krebshilfe mit 4,2 Millionen Euro gefördert. Das Kieler Projekt ist Teil einer internationalen Studiengruppe, die aus 120 Kliniken in acht Ländern besteht.

ALL: Neuer Therapieansatz gibt Hoffnung

ALL Blutkrebs - Melissa Deutsche Krebshilfe_Jan Klee

Melissas Eltern entscheiden, ihre Tochter an der Studie teilnehmen zu lassen. „Uns war es wichtig, dazu beitragen zu können, die Chancen auf eine erfolgreiche Therapie für alle Kinder mit einer ALL zu verbessert werden“, sagen sie. Die Behandlung von ALL im Kindes- und Jugendalter wird grob in zwei Abschnitte unterteilt: Die intensive Therapiephase und die Erhaltungstherapiephase.

Bei Melissa dauert die Intensivtherapie ein Jahr und fünf Monate. In dieser Zeit erhält sie sowohl hochdosiertes Kortison als auch eine Vielzahl von Chemotherapeutika. Die ganze Familie muss sich nun bestmöglich isolieren, um das durch die Therapie stark geschwächte Immunsystem des krebskranken Mädchens nicht zu gefährden.

Wir sind sehr dankbar, dass Melissa an der Studie teilnehmen konnte.

Um Tag und Nacht beistehen zu können, wird Vater David fortan von seiner Arbeit als Bundeswehrsoldat freigestellt. Er ist an Melissas Seite, während Mutter Karolin sich zuhause um den kleinen Ruben und die zwei älteren Kinder, die siebenjährige Marie und die elfjährige Eva kümmert. Beide müssen wegen der Corona-Pandemie zu Hause unterrichtet werden. Im Verlauf der Therapie wechseln sich die Eltern mit ihren Aufgaben ab – eine belastende Zeit für alle.

„Mein Mann hat die Kinder mit Sportübungen zuhause bei Laune gehalten“, erzählt Karolin Sauerland. Melissa aber hat dafür keine Kraft. Ihr Alltag wird von großen Stimmungsschwankungen getrübt, und sie hat mit starker Gewichtszunahme und Geschmacksveränderungen zu kämpfen. Vor allem die Stimmungsschwankungen waren für ihre älteren Schwestern oft sehr belastend. „Sie lacht nicht mal, wenn ich ihr etwas Lustiges erzähle“, berichtet Marie ihrer Mutter enttäuscht.

Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, betrifft das die ganze Familie. Zunächst dreht sich alles um das erkrankte Kind – oft kommen die gesunden Geschwister dabei zu kurz. Frust, Trauer und auch Wut sind ganz normale Gefühle, die viele Geschwister von krebskranken Kindern haben. In unserem Blogbeitrag „Kindern Krebs erklären“ geben wir Ihnen Hilfestellungen – unter anderem zur Geschwisterperspektive.

Nach der Therapie: Zurück im Alltag

Seit Mitte des Jahres 2022 kann die sechsköpfige Familie wieder aufatmen. Die Intensivtherapie ist abgeschlossen und die Zeit der Isolierung vorbei. „Melissa kann wieder in den Kindergarten gehen, worüber sie sich sehr freut. Auch die anderen Kinder können endlich wieder Freunde treffen und auch Familienbesuche sind möglich. Diese Normalität hat uns sehr gefehlt”, erzählt Karolin Sauerland. Für die sogenannte Erhaltungstherapie muss Melissa noch bis Ende 2022 Chemo-Tabletten nehmen und alle ein bis zwei Wochen zur Kontrolle ins Universitätsklinikum. So wollen die Ärzte ein Wiederauftreten der Krankheit verhindern.

Melissa kann wieder in den Kindergarten gehen, das macht sie sehr glücklich.

Akute Lymphatische Leukaemie - Erfahrungen -eutsche Krebshilfe_Jan Klee

Dass Melissa eine so schwierige Zeit hinter sich hat, merkt man ihr heute nicht mehr an. Ihre Energie ist zurückgekehrt und sie freut sich darüber, wieder zu spielen, zu basteln und große Seifenblasen zu machen. Drei Wünsche hat das quirlige Mädchen für die Zukunft: „Ich möchte in den Freizeitpark und dort auf der Drachenbahn fahren und dabei Salami essen”, erklärt sie bestimmt. Die war nämlich während der Intensivtherapie verboten. Und ehe sich die Familie Sauerland versieht, springt ihre Fünfjährige schon wieder auf und flitzt in ihrem türkisfarbenen Kleid davon.

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Interview

Prof. Dr. Martin Schrappe und Prof. Dr. Gunnar Cario

Prof. Dr. Martin Schrappe und Prof. Dr. Gunnar Cario

Warum wollen Sie die Chemotherapie bei Akuter lymphatischer Leukämie (ALL) mit einer Immuntherapie ergänzen oder sie gar ersetzen? Was erhoffen Sie sich dadurch?

„Grundsätzlich wirkt eine Immuntherapie gezielter auf die Leukämiezellen als eine Chemotherapie und ist deshalb sehr wirksam. Sie macht zugleich weniger Nebenwirkungen als die Chemotherapie, die letztlich unspezifisch auf alle Gewebe wirkt. Das übergeordnete Ziel der Studie ist zum einen, die Rate an Rückfällen der ALL zu reduzieren und zum anderen, dabei die zum Teil sehr schweren Therapienebenwirkungen deutlich zu reduzieren.“

Wann rechnen Sie mit eindeutigen Ergebnissen der Studie?

„Hier brauchen wir Geduld: In der Regel müssen wir bei unseren Patienten vom Beginn der Studie bis zur sicheren Auswertung zehn Jahre warten – das liegt daran, dass Rückfälle über mehrere Jahre auftreten können (die allermeisten aber innerhalb von fünf Jahren nach Therapiebeginn) und wir zugleich eine Mindestanzahl von Patienten in der Studie behandeln müssen, um eine sichere Aussage treffen zu können. Alle Details hierzu müssen schon vor Beginn einer Studie im Studienprotokoll festgelegt werden.“

Werden die Studienergebnisse auch auf andere Krebsarten übertragbar sein?

„Eine direkte Übertragung auf andere Krebsarten ist in der Regel nicht möglich, da sich die Therapien zwischen den Krebsarten sehr unterscheiden. Bestimmte Prinzipien der Therapie können jedoch Vorbildwirkung haben (z. B. die Reduktion der Chemotherapie-Intensität durch Hinzunahme einer Immuntherapie).“

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