Die Onkolotsinnen Christine Luppus und Geraldine Leven bieten Patienten mit Krebs Begleitung vom ersten Tag der Diagnose an – für beide ein Traumberuf.
Stützen, trösten, helfen – von Anfang an
Es sind Momente, die tief berühren. Momente voller Wut, Verzweiflung, Trauer oder hilflosem Schweigen. Jeden Tag erleben Christine Luppus und Geraldine Leven hautnah, wie Betroffene und Angehörige auf die Diagnose Krebs reagieren. Dann sind sie da, fangen die Menschen auf, trösten und begleiten sie durch Therapie und Nachsorge – manchmal nur für wenige Wochen, oft über mehrere Jahre.
Immer mit dabei sind ihr enormes Fachwissen, aber vor allem Menschenkenntnis, Sensibilität und Empathie. Seit sechs Jahren arbeiten die beiden gemeinsam als Onkolotsinnen im Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) am Universitätsklinikum Bonn. Mit den Partnerstandorten Aachen, Köln und Düsseldorf ist dies eins von 14 Onkologischen Spitzenzentren (Comprehensive Cancer Center).
Krebspatienten waren auf sich gestellt
„Hier gab es damals keine Ansprechpartner für onkologische Patienten, diese waren mit ihren Sorgen auf sich allein gestellt. Das wollte ich ändern“, erzählt Christine Luppus. Die 56-Jährige ist Krankenschwester mit Palliativausbildung. Zudem arbeitete sie mehrere Jahre in einem Hospiz und absolvierte eine Weiterbildung als Trauerbegleiterin. Auch ihre Kollegin Geraldine Leven ist gelernte Krankenschwester. Nach Jobs im Einzelhandel und einem Anglistikstudium wollte die 45-jährige nicht weiter „hinter Büchern sitzen, sondern zurück zu den Menschen.“
Jeder Patient hat eigene Bedürfnisse
Den Menschen begegnen die beiden Frauen vor allem in Extremsituationen – wie beim allerersten Arzttermin in der Klinik, wenn das Leben der Betroffenen von jetzt auf gleich Kopf steht. Dann bekommen sie die für ihre Arbeit wichtigen Eindrücke und Informationen. Diese gehen weit über medizinische Details hinaus und sind entscheidend für den Verlauf der Behandlung. „Wir lernen den Menschen hinter der Krankenakte kennen. Jeder Patient ist in einer anderen Lebenssituation und hat eigene Bedürfnisse, die wir berücksichtigen müssen“, so Leven.
„Wir lernen den Menschen hinter der Krankenakte kennen.“
Begleitung von Krebspatienten
Oft erklären sie älteren Menschen, die ohne Begleitung kommen, was der Arzt gesagt hat. „Wir schreiben während des Arztgesprächs mit. Viele Betroffene oder Angehörige sind bei dem Termin sehr aufgeregt und haben hinterher viele Fragen.“ Es gehe schließlich nicht selten um Leben und Tod.
Onkolotsen kennen ihre Patienten
Die beiden Lotsinnen bekommen im Laufe der Zeit und durch Gespräche ein immer besseres Gespür für „ihre“ Patienten:
- Hat der Betroffene starke Schmerzen, braucht er den Palliativdienst?
- Ist er offen für Sport oder wünscht er eine Ernährungsberatung?
- Gibt es ein stabiles Umfeld oder ist der krebskranke Mensch auf sich gestellt?
- Ist er seelisch stark belastet?
Durch den engen Austausch mit Arzt und Patienten können die Onkolotsinnen Patienten mit Krebs Begleitung anbieten, die flexibel ist. Die Lotsen können jederzeit reagieren, wenn sich Situation und Bedürfnisse der Betroffenen schlagartig ändern.
Ein bis drei neue Patienten betreuen Luppus und Leven im Schnitt pro Tag, je nachdem, wie intensiv die Begleitung sein muss. Die Lotsinnen koordinieren in Absprache mit dem Arzt auch Diagnostik- und Behandlungsmaßnahmen, zum Beispiel die Termine der Chemotherapie. Luppus: „Wir legen möglichst viele Untersuchungen auf einen Tag, damit der Patient nicht ständig in die Klinik kommen muss und seine Kräfte schonen kann.“
Ein Anker für Betroffene
Die Bezeichnung Patientenlotse wird dieser Aufgabenvielfalt nicht gerecht, finden sie. „Das klingt viel zu oberflächlich. So, als ob wir den Leuten nur den Weg durchs Klinikgelände weisen. Für viele Krebspatienten sind wir ein Anker,“ so Leven. Sie sehen sich als Anlaufstelle, die alle Fäden in der Hand hält, um den Betroffenen möglichst viel abzunehmen.
„Für viele Krebspatienten sind wir ein Anker.“
Onkolotsen nehmen sich Zeit
Diese Schaltzentrale ist eine kleine graue Theke, umrahmt von apfelgrünen Säulen, direkt im Eingangsbereich der Ambulanz, mit gerade mal Platz für Telefon, Infomaterial und PC. Doch von dort geht alles aus. „Wir schauen, welche unterstützenden Maßnahmen zur Erkrankung und Lebenssituation des Patienten passen“, sagt Leven. Die beiden sind immer ansprechbar, nehmen sich Zeit.
„Den Betroffenen fällt es oft viel leichter, uns mit ihren Sorgen zu ,belasten‘, als ihre Angehörigen.“
Besonders für Betroffene, die den Krebs nicht überwinden, und deren Angehörige. „Wenn der Weg des Patienten dem Ende zugeht, sind wir oft einfach nur da, in Stille, halten aus und hören zu. Den Betroffenen fällt es oft viel leichter, uns mit ihren Sorgen zu ,belasten‘, als ihre Angehörigen.“
Die eigene Sterblichkeit
Immer wieder sind die Lotsinnen auch mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert. „Vor allem bei Patienten in meinem Alter denke ich, das kann auch mich treffen“, sagt Leven. Trotzdem überwiege das Positive, nicht nur, wenn die Patienten den Krebs hinter sich lassen.
„Wir bekommen viel Dankbarkeit zurück, das gibt uns Kraft für unsere Arbeit“, sagen sie. Diese Kraft holen sie sich privat durch Spaziergänge in der Natur oder Yoga und Meditation. „Zu Hause suchen wir eher die Ruhe. Es ist wichtig, immer wieder Ausgleich und Abstand zur Arbeit zu bekommen“, sagt Luppus.
Onkolotsen in Zeiten von Corona
Zum Abstand zwinge sie derzeit auch die Corona-Pandemie. Zuvor hätten sie die Betroffenen spontan in den Arm nehmen oder einfach mal über die Hand streichen können – undenkbar zurzeit. Die beiden spürten bei Patienten und Angehörigen eine gewisse Verzweiflung. Leven: „Wir betreuen hier zum Beispiel einen Krebspatienten, der in seiner Freizeit regelmäßig ehrenamtlich Senioren im Altenheim etwas vorliest, was ihm immer viel Kraft gegeben hat. Das geht nun nicht mehr.“ Daher sind Onkolotsen gerade jetzt so wichtig, sagen beide.
Sie sind eine wichtige Strukturentwicklung in einem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Comprehensive Cancer Center. Durch unsere Arbeit sind die Patienten weniger belastet mit dem Drumherum, fühlen sich behütet und aufgefangen.
Wenn Menschen sich besser fühlen, weil sie auch emotional unterstützt werden, trägt das maßgeblich zum Therapieerfolg bei“, so Luppus.
Fachinterview: Unverzichtbare Schnittstelle
Prof. Dr. Ingo Schmidt-Wolf, Direktor der Abteilung für Integrierte Onkologie – CIO Bonn am Universitätsklinikum Bonn
Herr Prof. Schmidt-Wolf, warum sind Onkolotsen für die Krebstherapie so wichtig?
„Weil sie eine unverzichtbare Schnittstelle zwischen behandelndem Arzt, Patienten und Angehörigen sind. Sie erleben unmittelbar und ungefiltert, wie Betroffene und ihr Umfeld die Diagnose aufnehmen und können direkt darauf eingehen. Vor allem auch auf die Angehörigen: Für diese kommt die Diagnose Krebs oft aus dem Nichts. Ein Arzt-Patienten-Verhältnis ist selbstverständlich, ein Arzt-Angehörigen-Verhältnis ist aber genauso wichtig und entlastet letztlich den Krebspatienten. Dass dieses Verhältnis entstehen kann, dafür sorgen die Onkolotsen.“
Wie genau verändern die Lotsen das Verhältnis zwischen Patienten und Behandler?
„Durch den regelmäßigen Austausch mit den Onkolotsen, erfahren wir Ärzte vieles über die Patienten, Familie und Angehörigen, das wir sonst nicht erfahren würden. Wir bekommen intensiver mit, wie viel Leid oft mit einer Krebserkrankung einhergeht, dadurch entsteht eine noch tiefere Vertrauensbeziehung zwischen Patienten und Behandlern. Als Arzt fällt es dann oft schwerer, wieder Abstand zu den einzelnen Schicksalen zu bekommen. Aber das nehme ich gern in Kauf, wir behandeln schließlich keine Nummern, sondern Menschen.“
Was wünschen Sie sich für Ihre Onkolotsen?
„Wir brauchen deutlich mehr von ihnen, doch es scheitert wie so oft an der Finanzierung. Die Deutsche Krebshilfe unterstützt uns da wunderbar, aber ich sehe bei dieser – vor allem ambulanten Versorgung von Krebspatienten – besonders die Krankenkassen in der Pflicht. Denn die Lotsen schließen eine wichtige Lücke in der Versorgung von ‚Krebsfamilien‘, also von Patienten und deren Angehörigen.“
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