Darmkrebs-Diagnose: Der höchste Anstieg, den ich je hatte


Ralf Schattke Darmkrebs-Diagnose

Im Oktober 2018 erhält Ralf Schattke die Darmkrebs-Diagnose. Mentale Stärke, Willenskraft und sein unerschütterlicher Optimismus helfen ihm durch eine schwere Zeit.

Es beginnt ganz plötzlich. Ralf wacht in einer viel zu warmen Herbstnacht mit starken Schmerzen im Oberbauch auf, er hat Brust- und Rückenschmerzen, der Schweiß läuft ihm die Stirn herunter. „Aus meiner Zeit beim Rettungsdienst hätte ich gesagt: Das sind typische Symptome eines Herzinfarkts“, erinnert sich der 55-jährige Berufsfeuerwehrmann an diese bangen Minuten. Er wählt den Notruf, doch die Schmerzen sind so stark, dass er sich kaum an seine Adresse erinnert. Als die Rettungssanitäter eintreffen, reagieren sie auf den vermeintlichen Infarkt: Sie geben ihm blutverdünnende Medikamente – ein Fehler und Glücksfall zugleich, wie sich herausstellen wird.

Ralf Schattke mit Mountainbike

Durch einen Zufall zur Darmkrebs-Diagnose

Im Krankenhaus können die Ärzte nichts feststellen. Der leidenschaftliche Mountainbiker wirkt fit, das EKG ist unauffällig, die Blutwerte gut und sein Herz stark. Am nächsten Morgen jedoch der Schock – die Toilette ist voller Blut.

Die Ärzte ordnen sofort eine Darmspiegelung an. Das Ergebnis: Ralf hat einen etwa drei Zentimeter großen Tumor im mittleren Bereich des Enddarms. Die bei der Notfallversorgung verabreichten blutverdünnenden Mittel haben die Geschwulst geöffnet und erklären die große Menge Blut. Ohne diese Fehlmedikation wäre das Karzinom an diesem Tag vermutlich nicht entdeckt und Ralf ohne Diagnose aus dem Krankenhaus entlassen worden. „Es klingt banal, aber es fühlte sich tatsächlich so an, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen“, beschreibt Ralfs Frau Claudia den Moment der Darmkrebs-Diagnose. Zwei Wochen später, am 18. Oktober 2018, wird Ralf operiert.

 

Nach der Operation

Als er nach der fast siebenstündigen Operation aus der Narkose erwacht, bietet sich ihm ein bizarres Bild: „Zwei Intensivpfleger, die versuchen, einen künstlichen Darmausgang mit Pflastern, die immer wieder aufweichen, an meinem Bauch zu befestigen“, beschreibt Ralf rückblickend etwas schelmisch die ersten wachen Minuten. Die Ärzte hatten ihn zwar über die Möglichkeit aufgeklärt, dass ein Stoma, ein künstlicher Darmausgang, nötig sein könnte. Jedoch hatte ihn niemand darauf vorbereitet, wie es sich anfühlt, wenn diese Möglichkeit plötzlich Realität geworden ist. Später wird ihm eine Stomatherapeutin den Umgang und die Pflege erklären, mit der psychischen Belastung bleibt er allein.

Ralf beginnt nun, sich intensiv über seine Erkrankung und die vor ihm liegenden Herausforderungen zu informieren. Die Broschüren der Deutschen Krebshilfe sind ihm dabei eine wichtige Stütze. Noch im Krankenhaus überlegt der erfahrene Sportler, der sich mit Trainingsmethoden und Muskelaufbau bestens auskennt, wie er seine Situation selbst verbessern kann. Er beginnt ein Beckenbodentraining und erinnert seinen Schließmuskel beim täglichen Toilettengang daran, was ohne Stoma normal wäre. Und noch etwas beschließt Ralf schon sehr früh: „Ich kann jedem raten, der Ähnliches erlebt, offen damit umzugehen. Die Menschen verlieren dadurch ihre Scheu und behandeln einen ganz normal.“

Die guten Tage nutzen

Ralf Schattke nutzt die guten Tage trotz Darmkrebs Diagnose

Zwei Monate später beginnt Ralf seine Chemotherapie. Alle vier Wochen bekommt er eine Infusion, gefolgt von zwei Wochen Tablettentherapie, anschließend eine Woche Pause. Insgesamt achtmal geht er durch diesen Zyklus. Als Erinnerungsstütze und Mutmacher führt Ralf ein „Chemo-Tagebuch“, in dem er Symptome und Dauer der Nebenwirkungen protokolliert. Mithilfe der Aufzeichnungen verbessert der Arzt seine Therapie fortlaufend. Außerdem weiß Ralf nun, wann die wiederkehrenden zyklusbedingten Nebenwirkungen nachlassen – und motiviert sich so zum Durchhalten.
Wenn es ihm gut geht, macht er zusammen mit Claudia Ausflüge oder fährt ins Fitnessstudio. Auch wenn er manchmal nur wenige Minuten auf dem Laufband trainieren kann – jeder Meter gibt ihm ein wenig Normalität zurück.

Er erzählt dort seine Geschichte. Offen, ehrlich und ohne zu beschönigen. Und er animiert seine Freunde und Bekannten, zur Darmkrebsvorsorge zu gehen. Viele haben Probleme mit der Untersuchung – auch weil sie nicht wissen, was genau dabei passiert. Andere meinen, sie würden schon merken, wenn etwas nicht stimmt. Denen erklärt Ralf, dass sich Darmkrebs erst bemerkbar macht, wenn es schon zu spät sein kann.

Therapie als Wegweiser und Veränderung

Im Juli 2020 wird das Stoma zurückverlegt. Sein Darm, viele Monate lang ein „Leerrohr“, wie Ralf ihn bezeichnet, muss erst wieder lernen, Nahrung zu verdauen. Er fängt mit ballaststoffreicher Kost an und probiert, was ihm guttut. Langsam, aber sicher kämpft er sich zurück: „Das war der längste Anstieg auf einen Berg, den ich je hatte. Und die letzten Meter waren die härtesten“, erinnert er sich an diese Zeit.

Heute kann Ralf wieder alles essen, geht ins Fitnessstudio, fährt Mountainbike, und lebt zusammen mit seiner Frau im neu gebauten Haus in Grevenbroich. Bisher haben die Ärzte keine neuen Krebszellen bei ihm gefunden. „Ich habe die Therapie als Wegweiser gesehen und als Veränderung in meinem Leben angenommen. Durch meine Krebserkrankung bin ich menschlich gewachsen, in jeglicher Hinsicht.“

„Tage, an denen es einem gut geht, muss man ausnutzen und als Geschenk annehmen. Sich bewegen! Kraft sammeln! Freude tanken!“

Fachinterview: Psychoonkologische Betreuung

Frau Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf ist Diplompsychologin, Psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie am Uniklinikum Leipzig.

Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf

Welche psychoonkologische Unterstützung gibt es?

„Die psychoonkologische Unterstützung für Krebspatienten ist vielfältig. Sie reicht von Information und Beratung bis hin zur psychotherapeutischen Behandlung. Hilfe können Betroffene oft direkt im Krankenhaus erhalten. Aber auch Organkrebszentren, Krebsberatungsstellen und auf Krebserkrankungen ausgerichtete Rehabilitationskliniken sind geeignete Anlaufstellen. Einige Einrichtungen bieten auch eine Versorgung in Tageskliniken an.“

Was beschäftigt Krebspatienten am häufigsten?

„Eine Krebserkrankung wirkt sich auf Lebensbereiche aus. Viele Patienten leiden unter körperlichen und psychischen Belastungen. Schmerzen, Erschöpfung und Müdigkeit, Einschränkungen der Mobilität, Ängste oder depressive Verstimmungen – all dies kann sich auch auf die Partnerschaft, soziale Beziehungen oder den Beruf auswirken. Hier gilt es zu intervenieren.“

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf bei der psychologischen Versorgung von Krebspatienten?

„Optimierungsbedarf sehe ich in der Wirksamkeitsforschung psychotherapeutischer Behandlungen bei häufigen Problemen wie beispielsweise krebsspezifischer Fatigue, ein durch eine Krebserkrankung hervorgerufener extremer Ermüdungszustand. Aber auch mit der sogenannten Progredienzangst, also die Angst vor dem Wiederauftreten oder dem Fortschreiten der Erkrankung müssen wir uns eingehender beschäftigen.“

Weitere Informationen

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