Schon bevor Uli Stein 2001 an Lymphknotenkrebs erkrankt, ist Sport sein Ausgleich und Antrieb. Neun Jahre lang kämpft der heute 56-Jährige gegen den Krebs und zwei Rezidive.
Laufbänder surren, Gewichte klirren metallisch, als sie sich an den Trainingsgeräten im Takt der Übungen heben und senken. Es ist früher Abend im Fitnessstudio „uniquesport“ in Grevenbroich bei Düsseldorf. Uli grüßt ein Paar, das sich in Sportsachen und mit Handtuch über der Schulter auf den Weg zur nächsten Station seines Zirkeltrainings macht. „Noch vor ein paar Jahren hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich mal ein Fitnessstudio von innen sehen würde“, erklärt der 56-Jährige, der sich hier nicht nur selbst fit hält, sondern als Trainer auch anderen mit seiner Expertise und Motivation hilft. „Gezielter Sport rettet Leben, und ich bin mir sicher, dass ich ohne heute nicht mehr leben würde.“
„Gezielter Sport rettet Leben, und ich bin mir sicher, dass ich ohne heute nicht mehr leben würde.“
„Mit Krebs hätte ich niemals gerechnet“
Sich auspowern, an seine Grenzen gehen – Uli liebt die sportliche Herausforderung: In seiner Jugend spielt er leidenschaftlich Fußball, als junger Erwachsener ist der Rennradsport seine Antriebsfeder und sein Ausgleich von der anstrengenden Schichtarbeit als Schlosser. 400 bis 500 Kilometer fährt der inzwischen dreifache Familienvater durchschnittlich pro Woche. Als er im Jahr 2001 eine Verdickung in der linken Leiste ertastet, vermutet er einen Leistenbruch durch Überanstrengung. Sein Hausarzt schickt ihn ins Krankenhaus, dort wird eine Gewebeprobe entnommen und pathologisch untersucht. Das Ergebnis: Non-Hodgkin-Lymphom, eine bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems, an der jährlich über 18.000 Menschen in Deutschland neu erkranken. Der Tumor hat bereits die Größe einer Banane. „Niemals hätte ich gedacht, dass ich Krebs haben könnte“, erinnert sich Uli. „Ich habe mich gut gefühlt, immer viel Sport gemacht, nie geraucht und so gut wie nie Alkohol getrunken.“
Sport während der Therapie
Bereits zwei Wochen nach der Diagnose wird der Tumor vollständig entfernt, es folgen Bestrahlung und sechs Chemozyklen. Da sich Uli während der anstrengenden Therapie verhältnismäßig fit fühlt, steigt er wieder auf das Rennrad. „Ich habe meinen gesundheitlichen Zustand zu dem Zeitpunkt klar überschätzt“, weiß der Grevenbroicher heute. „Mitten im fünften Chemozyklus bin ich 300 Kilometer gefahren. Zwei Tage später bin ich zusammengebrochen, ich war total erschöpft.“ Seine Ärzte raten ihm dazu, in einem Fitnessstudio schonender und nachhaltig zu trainieren. Statt sich auszupowern, baut Uli nun mit professioneller Unterstützung des geschulten Trainerteams gezielt seine Ausdauer und Muskulatur auf. Auch nachdem die Ärzte ihm im Sommer 2002 nach rund acht Monaten Therapie bestätigen, dass er krebsfrei ist, bleibt der Sport Ulis ständiger Energiequell. Durch gezieltes Training und gesunde Ernährung holt er im Juli 2009 den Titel des Deutschen Meisters im Natural Bodybuilding, einer dopingfreien Variante des Kraftsports.
Im Dezember 2009 folgt der erste Rückschlag: In der rechten Leiste hat sich ein Tumor gebildet. Um die erneute Krebserkrankung zu bekämpfen, beginnt im folgenden Februar der erste von insgesamt acht hochdosierten Chemozyklen, die den Körper auf die anschließende autologe Stammzelltransplantation vorbereiten, bei der der Patient seine eigenen Stammzellen zugeführt bekommt.
Die Therapie zeigt jedoch nur kurzzeitigen Erfolg: Vier Wochen gilt Uli als rezidivfrei, bevor im Oktober 2010 sein Hausarzt bei einer Routine-Tastuntersuchung in der Achsel einen Knoten entdeckt und ihn zur Abklärung in ein Kölner Krankenhaus überweist. In der Woche, in der Uli auf die angeordnete MRT-Untersuchung in Köln wartet, wächst der Tumor von Haselnuss- auf Orangengröße an. Uli wird umgehend operiert. Bei einem anschließenden Kontroll-MRT finden die Ärzte weitere 58 befallene Lymphknoten und Tumore in seinem Körper, insbesondere im Bauchraum und an seiner Aorta. Ein Tumor im Gehirn ist so groß wie eine Zitrone.
Überlebenschance lag bei drei Prozent
„Mein Arzt saß damals vor mir und sagte, dass meine Überlebenschance bei drei Prozent liegt“, erinnert sich Uli. „Aber für mich war die ganze Zeit klar, dass ich es schaffen werde. Ich hatte meinen Gegner vor Augen und wollte ihn besiegen. Endgültig.“ Insgesamt drei Chemozyklen bereiten den damals 47-Jährigen Anfang 2011 auf eine erneute Stammzelltransplantation vor. Zu Beginn des Routineeingriffs kommt es zu starken Komplikationen: In der Atemmaske, über die Uli narkotisiert werden soll, befinden sich Reste eines Reinigungsmittels, die ihm beim Einatmen die Lunge verätzen. Uli übergibt sich, atmet das Erbrochene ein und wird mit einer daraus resultierenden Lungenentzündung auf die Intensivstation verlegt. „Als es mir besser ging, startete die nächste Chemo. Sieben Tage, Tag und Nacht. Dann kam die Stammzelltransplantation“, sagt Uli lächelnd, „und mit diesem Moment hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich es geschafft habe.“
„Für mich war die ganze Zeit klar, dass ich es schaffen werde. Ich hatte meinen Gegner vor Augen und wollte ihn besiegen. Endgültig.“
Körper und Psyche stärken
Seitdem ist Uli krebsfrei – und ein anderer Mensch: „Ich bin ruhiger, ausgeglichener und empathischer geworden“, beschreibt sich der 56-Jährige, „und ich mache nur noch das, worauf ich Lust habe.“ Seine Liebe zum Sport nutzt Uli heute nicht mehr nur, um sich selbst fit zu halten. Als Trainer im Fitnessstudio unterstützt er auch andere, die etwas für ihre Gesundheit tun wollen. Die meisten Besucher kennen ihn und wissen von seiner Geschichte, über die er offen spricht, um so anderen mögliche Berührungsängste zu nehmen. „Irgendwann stand der Erste vor mir und sagte ‚Ich habe auch Krebs und möchte wieder gesund werden. Was kann ich tun?‘“, erinnert sich Uli. Heute trainiert er einige Klienten, die Krebs haben oder sich von einer zurückliegenden Erkrankung erholen. „Viele Betroffene wissen gar nicht, welche Wirkung therapiebegleitender Sport auf den Heilungsprozess haben kann“, erklärt Uli. Es sei nicht wichtig, den Körper zu überanstrengen, sondern langsam mit Übungen zu stärken, die dem aktuellen gesundheitlichen Zustand angepasst sind. Eine weitere wichtige Rolle spielt die Psyche: „Zuspruch hilft dabei, durchzuhalten und nicht aufzugeben. Und wenn man sich austauscht, fühlt man sich nicht so allein.“
Grevenbroich bewegt sich
Die Schicksale, die Uli so hautnah erlebt, berühren ihn. „Ich habe nicht nur mein eigenes Wunder erlebt, sondern sehe auch immer wieder, dass auch viele andere Menschen gesund werden. Aber leider haben nicht alle dieses Glück“, sagt er nachdenklich. Mit der Zeit wächst in ihm zunehmend der Wunsch, sich für krebskranke Menschen einzusetzen. Gemeinsam mit seinem Freund Rene de Byl organisiert er im Oktober 2019 das Aktionswochenende „Grevenbroich bewegt sich“, um Spenden für die Deutsche Krebshilfe zu sammeln. Hilfe erhalten die Organisatoren auch von Bürgermeister Klaus Krützen, der lokale Geschäfte um Unterstützung bittet. Über 10.000 Euro kommen bei der Aktion zusammen. „Ich war noch nie so glücklich und zufrieden“, freut sich Uli über den Erfolg der Aktion, der Bestätigung und Ansporn zugleich ist, sich auch zukünftig regelmäßig gegen den Krebs stark zu machen. „Rene und ich haben viele Ideen, auf deren Umsetzung ich mich wahnsinnig freue. Es tut unglaublich gut es mit persönlichem Einsatz zu schaffen, dass es anderen Menschen besser geht.“
„Es tut unglaublich gut es mit persönlichem Einsatz zu schaffen, dass es anderen Menschen besser geht.“