Ernährung mit und nach Krebs


Diagnose Magenkrebs: Michael K. ernährt sich bewusster

Gesunde und schmackhafte Mahlzeiten haben für Krebspatienten einen besonderen Stellenwert. Um die speziellen Herausforderungen für die Ernährung nach Krebs weiß Michael K., der seit zehn Jahren ohne Magen lebt.

Es riecht nach Sommer: Der Duft von Lavendel, Rosmarin und Zitrone dominiert die geräumige Küche der hellen Dachgeschosswohnung im Dortmunder Süden. Genüsslich arrangiert Michael K. ein Stück Lachs, drei Brokkoliröschen und eine Kartoffel auf seinem Teller. Noch ein gezielter Griff ins Gewürzregal und er schaut zufrieden auf sein Mittagessen – einfach zubereitet. „Den Brokkoli gibt es bei uns in Wasser gekocht und an den Lachs gehören viele Kräuter. Ein Stück Feige. Wunderbar, sonst nichts.“

Ernährung nach Krebs – ohne Magen

Ernährung mit und nach Krebs

Seit er ohne Magen lebt, verträgt der 72­-Jährige keine großen Mahlzeiten mehr. Früher aß der gebürtige Münchner alles gerne: „Vor allem deftig durfte es sein, am liebsten Knödel mit Schweinsbraten und Weißbier.“ Bis zu jenem Tag im November 2008, als er abends erschöpft von der Arbeit kommt. Seine Frau Ulla empfängt ihn an der Haustür. Er lässt seine Aktentasche fallen, wankt ins Wohnzimmer zum Sofa. „Meinen Mann plötzlich derart müde und kraftlos zu sehen, erschreckte mich.“

„Meinen Mann plötzlich derart müde und kraftlos zu sehen, erschreckte mich.“

Wahrscheinlich ist es bloß das Alter oder vielleicht doch das Herz?, fragt sich das Ehepaar. Am nächsten Tag fahren sie gemeinsam ins Krankenhaus, wo zunächst ein EKG gemacht wird. Erstmal heißt es Aufatmen – das Herz schlägt normal für den damals 62-jährigen Mann. Die Ursache für seinen Zusammenbruch muss woanders liegen. In der Abteilung für Innere Medizin untersuchen Ärzte den Bauchraum von Michael K.: Blutungen im Darm führen sie zu einem Siegelringkarzinom im Magen. Dabei handelt es sich um ein so genanntes Adenokarzinom, eine bösartige Tumorart, die sich aus dem Drüsengewebe entwickelt und bei neun von zehn Magenkrebspatienten vorkommt.

Diagnose Magenkrebs

Auch die Lymphknoten im Magen von Michael K. sind befallen. Der Tumor ist fortgeschritten. Sein behandelnder Arzt rät, den gesamten Magen entfernen zu lassen. Um den Tumor vor dem Eingriff zu verkleinern und so die Heilungsaussichten zu verbessern, sollte er sich außerdem einer sechswöchigen Chemotherapie unterziehen.

Was das bedeutet, begreift der Patient schnell. Als Regionalleiter eines medizinischen Labors hat er viel mit Medikamenten zu tun und weiß um deren Wirkung. Er entscheidet sich für eine Chemotherapie in Tablettenform, die er über sechs Wochen in Absprache mit seinem Onkologen einnimmt.

Ernährung nach Krebserkrankung

In Deutschland erkranken jährlich über 15.000 Menschen neu an Magenkrebs, 9.000 von ihnen sind Männer.

Ernährung nach Krebs: Ein Ersatzmagen wird geschaffen

Im Frühjahr 2009 werden Michael K. der Magen und die befallenen Lymphknoten entfernt. Millimeterarbeit: Der Operateur stellt die Magenfunktion künstlich wieder her, indem er ein Darmstück zwischen Speiseröhre und Zwölffingerdarm setzt. So schafft er eine Art Ersatzmagen, der auch die Funktion eines Speisespeichers übernimmt. In ihm verbleibt die Nahrung eine Weile vor Abgabe in den Darm, sodass der Körper mehr Energie aus der Nahrung aufnehmen kann.

Diese Operation ist eine einschneidende Erfahrung für den Patienten, der dennoch zuversichtlich bleibt: „Ich war überzeugt davon, bei den Medizinern und Fachleuten in guten Händen zu sein. Nach der Operation musste ich erstmal zu Kräften kommen.“

„Ich war überzeugt davon, bei den Medizinern und Fachleuten in guten Händen zu sein. Nach der Operation musste ich erstmal zu Kräften kommen.“

Er wiegt nur noch 51 kg. Um einer Mangelernährung vorzubeugen, spritzt ihm sein Hausarzt Eisen und alle drei Monate Vitamin B12. Dann die eigentliche Belastungsprobe: Kann er nach der Operation noch normal essen? Muss er eine besondere Diät einhalten und fortan auf seine Lieblingsgerichte verzichten?

Ernährung nach der Krebserkrankung

Ernährung nach KrebsIm Krankenhaus nimmt Michael K. Kontakt zu einer Ernährungsberaterin auf. Sie empfiehlt, seine Ernährung neu zu überdenken und umzustellen. Fertigwaren und fette Speisen wie Pommes muss er in Zukunft vom Speiseplan streichen. Stattdessen: ausgewogene Zutaten mit Eiweißen, ungesättigten Fetten, Kohlenhydraten, Vitaminen und Spurenelementen. Die gesunde Mischung macht’s: ballaststoffreiche Getreideprodukte, Kartoffeln und Vollkornreis sowie eiweißhaltige Lebensmittel wie Fisch und Fleisch.

Doch nicht nur die Frage „Was?“ spielt eine neue und wichtige Rolle im Leben von Michael K., sondern auch das „Wie?“, also das Verhalten beim Essen: Viele kleine Mahlzeiten, langsam essen.

Kleine Veränderungen im Alltag helfen

Nachdem sich der 62­-Jährige gegen eine Reha entschieden hat, steigt er wieder direkt in den Berufsalltag ein. Das stellt ihn vor besondere Herausforderungen. „Wenn meine Kollegen schon beim zweiten Gang waren und ich noch bei der Vorspeise, musste ich erst lernen zu sagen: ‚Ich kann nicht schneller essen.‘“ Auch viele Termine hintereinander stressen ihn. Er ist nicht mehr so belastbar. Schließlich sucht er das Gespräch mit seinem Vorgesetzten und spricht offen: So wie früher geht es nicht mehr. Er wird stellvertretender Regionalleiter, setzt die Prioritäten neu, indem er zum Beispiel seinen Kundenkreis einschränkt.

„Wenn meine Kollegen schon beim zweiten Gang waren und ich noch bei der Vorspeise, musste ich erst lernen zu sagen: ‚Ich kann nicht schneller essen.‘“

Wiederkehr des Geschmackssinns

Ernährung bei KrebsJe intensiver sich Michael K. in den kommenden Monaten und Jahren mit dem Thema Ernährung beschäftigt, desto mehr wird er zum Experten in eigener Sache. Er begleitet eine Ernährungsexpertin zu Vorträgen quer durch die Republik. Dabei sitzt er neben ihr auf dem Podium und erzählt aus Sicht eines Betroffenen, wie es ist, ohne Magen zu leben und welches Essen ihm guttut.

Nach und nach entdeckt er seinen Geschmackssinn wieder, der sehr unter der Chemotherapie gelitten hat. Auch aß Michael K. nach der letzten Chemotherapie oft ohne Appetit, weil er kein Gewicht verlieren durfte. Um sich in seinem Körper wohlzufühlen und gesund zu bleiben, sind Michael K. neben gesundem Essen auch regelmäßige Bewegung und Entspannung im Alltag wichtig. Er schwimmt gerne, singt im Chor und geht oft mit seiner Frau im nahegelegenen Westfalenpark spazieren. Damit hält der Rentner sein persönliches Idealgewicht von 61 kg.

Ernährung nach Krebs: Vom Patienten zum Experten

Michael K. lebt ohne Magen

Als er seinem behandelnden Arzt erzählt, wie er gelernt hat, nicht nur zu essen um des Essens willen, sondern auch, um sich wohler zu fühlen, ist der Mediziner sofort fasziniert von dem heiteren, motivierten Patienten mit dem guten Bauchgefühl.

Er lädt ihn ein, gemeinsam eine Selbsthilfegruppe für Magenkrebspatienten in Dortmund zu gründen. Michael K. hat direkt eine Botschaft für die Teilnehmer parat: „Ich möchte ihnen zu mehr Genuss beim Essen verhelfen. Sie sollen eine positive Einstellung zu gesundem Essen entwickeln. Wichtig ist es, ausgeglichen zu essen – mit Freude, Wohlgefühl und Ruhe.“ Gelegentlich kochen sie auch gemeinsam. Das tut gut, macht Freude und gibt positive Energie – davon ist Michael K. überzeugt.

Seine Vorträge haben immer wieder auch philosophischen Charakter. Sein Credo: „Auswahl, Vorbereitung und Durchführung sind beim Essen wichtig, damit Körper, Geist und Seele im Gleichgewicht sind.“ Er isst aus Leidenschaft. Die hat er sich durch den Krebs nicht nehmen lassen.

„Auswahl, Vorbereitung und Durchführung sind beim Essen wichtig, damit Körper, Geist und Seele im Gleichgewicht sind.“

Prof. Dr. Jutta Hübner, Stiftungsprofessorin für Integrative Onkologie

Interview: „Essen sollte Freude bereiten und guttun“

Prof. Dr. med. Jutta Hübner, Stiftungsprofessorin für Integrative Onkologie der Deutschen Krebshilfe am Universitätsklinikum Jena

Welche Rolle spielt die Ernährung bei Krebs?

Ernährung hat eine große Bedeutung im Falle einer Krebserkrankung. Eine gesunde, ausgewogene Ernährung versorgt den Körper mit allen Nährstoffen, die er braucht. Besondere Bedeutung bekommt die Ernährung dann, wenn es bei Patienten zu einer Gewichtsabnahme kommt. Dies gilt auch für überge­wichtige Patienten. Eine Gewichtsabnahme ist immer ein Hinweis auf eine Mangelernährung. In allen diesen Fällen brauchen Krebspatienten eine gute, wissenschaftlich basierte Beratung.

Was empfehlen Sie nach der Therapie?

Patienten sollten sich auch nach der Therapie ausgewogen ernähren. Am besten fünfmal am Tag Obst, Salat und Gemüse, gesunde Kohlenhydrate und pflanzliche Fette und Omega­-3­-Fettsäuren sowie eine gesunde Zusammensetzung der Eiweiße. Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass besondere Diätformen, wie vegetarisch, besser sind. Vegane Ernährung kann sogar sehr schnell zu Mangelerscheinungen führen. Sie ist für viele Patienten nicht geeignet. Auch sollte man sehr vorsichtig sein, nicht auf sogenannte Krebsdiäten hereinzufallen.

Welche Rolle spielt die Psyche?

Ernährung und Psyche hängen ganz eng miteinander zusammen. Wenn wir uns wohlfühlen, haben wir Appetit und es schmeckt uns gut. Umgekehrt kann eine leckere Mahlzeit dazu beitragen, dass es uns und unserer Seele gut geht. Michael K. ist ein sehr gutes Beispiel, wie man als Patient nach einer schweren Erkrankung sehr viel Lebensqualität wiedergewinnen kann. Auch dies ist ein Grund, warum unsere Patienten vor allen Dingen Freude an der Ernährung haben sollten.

Blauer Ratgeber „Magenkrebs“

Grundlegende Informationen – von der Diagnose über die Therapie bis hin zur Nachsorge – finden Sie in unserem Blauen Ratgeber „Magenkrebs“.

vorheriger Beitrag Hannahs Spätfolgen der Krebstherapie
nächster Beitrag Amazon Smile: krebskranken Menschen helfen