Krebs und Familie in Zeiten von Corona


Krebs und Familie in Zeiten von Corona

Monika Böttger wohnt im brandenburgischen Finsterwalde. Im Gespräch mit Rocco Thiede* berichtet die Brustkrebspatientin, wie sie mit der aktuellen Corona-Situation umgeht:

Immer die erste Frage: Geht es dir gut?

„Die Zeit der Bestrahlungen und Infusionen nach meiner Brustkrebserkrankung im Spätsommer 2017 ist vorbei. Dennoch muss ich mich regelmäßig beim Arzt vorstellen. Allerdings bekomme ich mit, dass Termine abgesagt oder verschoben werden. Auch von mir kann ein Arzttermin in Dresden erst Ende des Jahres stattfinden.

Während Corona zu Hause im Garten

Als ich das letzte Mal zur Routinekontrolle bei meiner Frauenärztin war, gingen die Krebs-Patientinnen durch den Hintereingang in die Praxis. Die Angst vor einer Ansteckung ist einfach sehr groß. Viele meiner Bekannten haben sich, weil sie Risikopatienten sind, krankschreiben lassen. Mich persönlich betrifft das nicht, weil ich zu Hause bin und auf mich selber achten kann.

Oft bin ich für meine Freundinnen, die meine Hilfe brauchen, wie eine Seelsorgerin. Manchmal erschrecke ich mich selbst, wieviel Kraft ich auch anderen geben kann. Viele Frauen kenne ich aus der Zeit der Chemotherapie oder von der Reha. Wir passen sehr aufeinander auf und schreiben uns per WhatsApp, weil wir uns nicht besuchen können. Am Anfang steht immer die Frage: ‚Geht es Dir gut?’.

Nicht immer können Frauen auf ihren Partner bauen. Es gibt Männer, die lassen ihre Frauen mit ihrem Krebs alleine, weil sie damit nicht umgehen können. So ging es auch einer guten Freundin von mir. Sie war froh, dass sie mit mir immer wieder sprechen konnte. Dabei sind die Partnerschaft und eine funktionierende Beziehung gerade für Menschen mit Krebs so wichtig.“

Trotz Corona in Bewegung bleiben

„Seit den Beschränkungen durch die Corona-Pandemie fällt der zweiwöchentliche Reha-Sport für Krebspatienten genauso weg wie andere sportliche Betätigungen in Gruppen. Ich kann nicht Tango tanzen gehen und auch keine Kinder unterrichten. Stattdessen mache ich nun zu Hause Sport, zum Beispiel Yoga. Anfangs merkte ich schon, dass ich durch die ‚Zwangspause’ nicht so leistungsfähig war. Meinem Körper hat die Bewegung gefehlt.

In den ersten Wochen machte ich lange Spaziergänge. Jetzt bin ich auf das Rad gestiegen und fahre meine Kilometer runter – am Wochenende gerne auch vier Stunden, zusammen mit einer meiner Freundinnen. Mehr als zwei Personen dürfen ja weiterhin nicht in Brandenburg unterwegs sein.

Wichtig ist auch die Ernährung. Statt Wurst und Fleisch esse ich Obst, Gemüse, Körner und viele Nüsse. Eine gesunde Ernährung ist immer wichtig – egal ob man Krebs hat oder nicht.“

Digitale Kontakte gegen die Einsamkeit

„Die sozialen Kontakte fehlen mir schon. An manchen Tagen fühle ich mich einsam und leide sehr an der verordneten Kontaktarmut. Immerhin öffnen jetzt wieder die Museen und Freunde machen Ausstellungen. Da versuche ich dann hinzufahren. Aber es bleibt permanent der Gedanke im Hinterkopf: Du bist ein gefährdeter Patient und du musst schauen, dass die Kontakte zu anderen nicht zu groß werden.

Mit meinen Söhnen Theo und Martin, die in Berlin wohnen, telefoniere oder skype ich mehrmals in der Woche – je nachdem, wie die Jungs Zeit haben. Als freie Künstler sind sie gerade jetzt sehr gefordert und müssen schauen, wie sie durchkommen. Sie raten mir natürlich immer: ‚Mutter, du musst dich schützen. Du kannst niemanden mehr in dein Haus lassen.’ Ich merke, die Jungs achten auch aus der Ferne auf mich und sind sehr fürsorglich.

Museumsbesuche_Corona

Mit meiner Enkelin Emma, die in die zweite Klasse geht, mache ich die Märchenstunden nun am Telefon. Kürzlich rief sie mich an und sagte: ‚Oma, kannst Du mir etwas vorlesen? Mama und Papa haben gerade keine Zeit’. Ich sagte zu ihr, dass ich erst das Buch holen müsse. Da bat sie mich: ‚Nimmst du mich da mit?’. Sie hatte Angst, dass ich weg gehe. Das war niedlich.

Für mich selber mache ich viel Kreatives. Das muss ich auch, damit mir die Decke nicht auf den Kopf fällt. Ich male gerne Aquarelle oder Pastelle – zwar nicht draußen in der Natur. Aber was ich dort sehe, speichere ich im Kopf und setze es zu Hause um. Kunst hilft eigentlich immer und erst recht für Krebspatienten in Corona-Zeiten!“

Buchtipp: „Wir sind für dich da!“

In 11 Reportagen berichten renommierte Journalisten, wie Familien auf ihre je ganz eigene Art mit dem Schicksalsschlag Krebs umgehen. Erzählt werden ergreifende und zum Teil sehr persönliche Geschichten von Krankheit, von Genesung und Tod, die Hoffnung geben, Trost spenden und Mut machen.

Buch: Wir sind für Dich da! Krebs und Familie – 11 Reportagen
Prof. Mehnert_JGERBER

Interview: Es ist wichtig, den Alltag positiv zu gestalten

Prof. Anja Mehnert-Theuerkauf, Leiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Leipzig

Mit welchen zusätzlichen Herausforderungen haben Krebspatienten und ihre Angehörigen durch Corona zu kämpfen?

„Patienten und Angehörige müssen wie alle anderen Menschen auch die Schutzmaßnahmen wie Hygiene und Abstandsregelungen einhalten und sich gleichzeitig um ihre onkologische Versorgung kümmern. Hinzu kommen psychosoziale Belastungen: Die soziale Isolation und existenzielle Bedrohungen können verstärkte Ängste und depressive Verstimmungen auslösen.“

Was bedeutet das für Sie als Psychoonkologin?

„Viele Patienten wie auch Angehörige können wir momentan lediglich telefonisch oder auch über webbasierte Tools begleiten. Die Ausgestaltung der Kontakte bietet zum einen eine höhere Flexibilität, zeigt aber auch die Grenzen der psychoonkologischen Versorgung auf.“

Welche Tipps haben Sie im Umgang mit der aktuellen Situation?

„Es ist wichtig, den Alltag so gut wie möglich zu strukturieren und positiv zu gestalten. Ich empfehle, jeden Tag einer positiven Beschäftigung nachzugehen, beispielsweise Sport zu treiben, etwas zu kochen oder zu backen. Wenn es nicht gleich auf Anhieb gut funktioniert, ist es hilfreich, geduldig mit sich und anderen zu sein und am nächsten Tag einen neuen Versuch zu starten.

Eine Strategie gegen die Angst ist es, die individuell richtige Menge an Informationen zu finden, sich regelmäßig aus vertrauenswürdigen Quellen zu informieren – aber nicht rund um die Uhr. Ständig nach neuesten Nachrichten zu suchen und diese zu verfolgen, kann die Angst erhöhen und zuweilen sogar lähmend wirken.

Viele Menschen erleben zusätzlich ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Hier helfen präventive Maßnahmen, die die Gesundheit und die Lebensqualität stärken aber auch das Gefühl von Kontrolle erhöhen nach dem Motto „etwas zu tun ist besser als nichts zu tun“. Dazu zählen Hygienemaßnahmen wie gründliches Händewaschen oder Abstand zu anderen Menschen halten. Neben Sport und Bewegung sollte auch Entspannung dazu gehören. Wichtig ist zudem eine gesunde Ernährung, maßvoller Alkoholgenuss, ausreichend Schlaf sowie der soziale Austausch in der Partnerschaft, mit der Familie oder mit Freunden – auch über Telefon und Internet. Auch Ablenkung durch Arbeit oder Hobbies sind hilfreich. Wer Sorgen hat, sollte sich daran erinnern, dass diese nichts an der Situation ändern. Wenn die Ängste und Sorgen übermächtig und kaum kontrollierbar werden, ist eine professionelle psychologische Unterstützung ratsam.“

BENÖTIGEN SIE HILFE?

Das INFONETZ KREBS steht Betroffenen nach einer Krebsdiagnose bei! Eine persönliche, kostenfreie Krebsberatung erhalten Sie montags bis freitags von 8 bis 17 Uhr unter der Telefonnummer 0800 / 80 70 88 77 oder per E-Mail: krebshilfe@infonetz-krebs.de

Infonetz Krebs - Wissen schafft Mut

*Das Gespräch führte Rocco Thiede Ende April 2020.

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