Metastasen: Die unsichtbare Gefahr

(gb) - Im Körper umherwandernde Krebszellen fordern die Krebsforschung und -medizin in großem Maße heraus. Denn wenn sich die bösartigen Zellen in anderen Organen ansiedeln, verschlechtern sich die Heilungschancen dramatisch.

Gespannt beobachten die beiden Wissenschaftler den großen Computerbildschirm. In wenigen Momenten werden sie hier die Ergebnisse eines langen Arbeitstages betrachten können, so hoffen sie jedenfalls. Die meisten ihrer Arbeitskollegen sind schon nach Hause gegangen, doch die beiden Forscher werden heute noch einige Zeit in dem schmalen, kleinen Raum verbringen. Hier ist die Ausstattung eher karg und entspricht wenig dem typischen Bild eines Forschungslabors. Es gibt keine gekachelten Arbeitsplätze, keine Armada an Pipetten, Röhrchen, Kolben und Flaschen und keine sich drehenden Zentrifugen. Hier beherrscht nur ein bestimmtes Instrument den Raum: ein Immunfluoreszenzmikroskop. Direkt verbunden mit diesem großen Spezialmikroskop ist der Monitor, den der Mediziner Professor Dr. Christoph Klein und seine Post-Doktorandin Dr. Aleksandra Markiewicz betrachten. Sie hoffen, gleich ihr Forschungsobjekt in Augenschein nehmen zu können: Krebszellen, die Metastasen bilden.

Als Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Medizin und Therapieverfahren der Medizinischen Fakultät an der Universität Regensburg ist Professor Klein schon lange den Metastasen auf der Spur. Metastasen sind Absiedelungen des ursprünglichen Tumors. Sie entstehen, wenn sich Zellen von ihm ablösen und an anderer Stelle im Körper niederlassen. Der sogenannte schwarze Hautkrebs – das maligne Melanom – gilt als besonders gefährlich. Schon früh kann ein noch kleiner Tumor bereits Tochterzellen aussenden und sehr schnell neue Tumoren in lebenswichtigen Organen wie Lunge, Leber oder Gehirn bilden. „Oftmals gehen die bösartigen Zellen in eine Art Winterschlaf oder ein „Trainingscamp“, wo sie sich fit machen für den Angriff. Nach einiger Zeit – unter Umständen sogar nach vielen Jahren – sind sie fit, vermehren sich und bilden anscheinend aus dem Nichts einen neuen Tumor“, erläutert Klein.

Transportiert werden die Zellen über die Blutbahn oder das Lymphsystem. Doch zuerst müssen sie sich vom ursprünglichen Tumor ablösen. Das ist nicht einfach, denn normalerweise kleben die Zellen eines Gewebes fest aneinander. Sogenannte Adhäsionsmoleküle dienen als Leim und verbinden jede Zelle mit ihren Nachbarzellen. Krebszellen haben die Fähigkeit, die Klebemoleküle loszuwerden – nun können sie sich aus dem Zellverband lösen. Um ungehindert im Körper umherwandern zu können, müssen die bösartigen Zellen noch durch die Wände von Adern oder Lymphgefäßen in die Blut- oder Lymphbahnen gelangen. Dazu brauchen sie die Hilfe von gewebeauflösenden Enzymen, Proteasen genannt. Die Proteasen fressen kleine Löcher in das Mauerwerk, durch die sich die Tumorzellen zwängen. Nun durchwandern sie den Körper auf der Suche nach neuem Gewebe, in dem sie sich einnisten und ihr zerstörerisches Werk beginnen können.

"Krebszellen stoppen"

Interview

mit Professor Dr. Christoph Klein

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Zurück im Mikroskopraum. Das Team von Professor Dr. Klein und Dr. Markiewicz haben den Großteil des Tages damit verbracht, Krebszellen so zu präparieren, dass sie unter dem Mikroskop sichtbar werden. Der Aufwand hat sich gelohnt: In vierzigfacher Vergrößerung erscheint eine Ansammlung grauer, kugelförmiger Gebilde auf dem Bildschirm – ein Zellhaufen. Darunter befinden sich einige auffallend große, hell orange leuchtende Zellen. „Wir denken, dass diese Zellen für das Entstehen von Metastasen bei schwarzem Hautkrebs verantwortlich sind“, erklärt Markiewicz.

Die Suche nach diesen Zellen ist schwierig. Denn wie sollen die Wissenschaftler die bösartigen Zellen unter den Billionen von anderen Zellen, die sich durch die Blut- und Lymphbahnen bewegen, ausfindig machen? „Wir können noch nicht mal von der Suche nach der Nadel im Heuhaufen sprechen“, so Markiewicz weiter. „Denn von den im Körper umherwandernden Krebszellen kann nur ein kleiner Teil einen neuen Tumor ausbilden. Wir mussten also in einer kleinen Gruppe ganz bestimmter Zellen nach einer weiteren, noch kleineren Gruppe ganz bestimmter Zellen suchen.“

Professor Klein und sein Team sind schließlich beim schwarzen Hautkrebs, aber auch bei anderen Krebsarten, fündig geworden. Es ist ihnen gelungen, einen speziellen Zelltyp auszumachen, der ein hohes Potenzial zur Koloniebildung besitzt. Geholfen hat ihnen beim schwarzen Hautkrebs dabei ein Molekül mit dem wissenschaftlichen Namen MCSP (melanoma-associated chondroitin sulfate proteglycan). „MCSP wird im Lymphknoten fast ausschließlich von Hautkrebszellen gebildet, auf den gesunden Lymphknotenzellen kommt es praktisch nicht vor“, sagt Klein und deutet auf den Computermonitor. „Wir unterscheiden zwischen großen und kleinen MCSP-Zellen. Etwa ein Viertel aller Zellen in unseren Proben sind große MCSPZellen. Und genau diese Zellen könnten der Ursprung von Tumorabsiedelungen in anderen Geweben und Organen sein. Sie könnten somit ein wichtiger Angriffspunkt für zukünftige Therapien werden.“

Professor Dr. Klein

„Wir wollen die zellulären und molekularen Mechanismen entschlüsseln, die zur Bildung von Metastasen führen“

Die Forscher aus Regensburg versuchen schon seit einiger Zeit, die wandernden Krebszellen anzugreifen, bevor sie im Körper weiteren Schaden anrichten können. Mit der Identifizierung der MCSP-Zellen als potenzielle Auslöser von Metastasen sind sie der Lösung des Problems vielleicht einen großen Schritt näher gekommen. Doch wie entsteht aus einer einzelnen Krebszelle auf Wanderschaft ein neuer Tumor? Die Antwort auf diese Frage ist noch unbekannt. „Wir wollen die zellulären und molekularen Mechanismen entschlüsseln, die zur Bildung von Metastasen führen“, erläutert Klein. „Erst wenn wir die zugrundeliegende Biologie dieses Vorgangs verstanden haben, können wir nach Möglichkeiten suchen, ihn aufzuhalten.“ Dies wollen sie nun in einem von der Deutschen Krebshilfe mit 384.000 Euro geförderten Projekt aufklären. Ihre Ergebnisse könnten das Leben vieler Krebspatienten entscheidend verändern: durch zielgerichtete, weniger belastende Chemotherapien und Bestrahlungen. Professor Klein geht noch einen Schritt weiter: „Zukünftig können wir vielleicht sogar Medikamente entwickeln, die das Ansiedeln gestreuter Tumorzellen im Körper dauerhaft verhindern“. Ein solcher Wirkstoff wäre ein Meilenstein für die Krebsmedizin.

Bis dahin werden Klein und sein Team noch viele Tage und Abende in ihren Regensburger Laborräumen verbringen. „Wir kommen unserem Ziel immer näher: den Prozess der Metastasierung besser zu verstehen – und zu verhindern.“ Für heute machen Klein und Markiewicz jedoch Feierabend. Ihre Zellproben konservieren sie noch für weitere Versuche. Die heute gewonnenen Daten laden sie auf den Institutsserver. Und dann geht auch im letzten Raum des Forschungsbereichs am Lehrstuhl für Experimentelle Medizin und Therapieverfahren in Regensburg das Licht aus. Bis zum nächsten Morgen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin der Deutschen Krebshilfe 03/2016

Krebszellen stoppen

Interview mit Professor Dr. Christoph Klein, Lehrstuhl für Experimentelle Medizin und Therapieverfahren der Universität Regensburg

Warum lassen sich Metastasen so schwer behandeln?
Das Problem bei einem gestreuten Tumor ist: Jede einzelne Krebszelle muss getroffen, also vergiftet werden. Werden „nur“ 99 Prozent der Zellen vergiftet, wird der Krebs wiederkommen. In jeder Metastase gibt es Abermillionen von Krebszellen und keine zwei Zellen sind identisch. Deshalb ist es so schwierig, Therapien zu finden, die gleichermaßen bei allen Krebszellen funktionieren. Aus diesem Grund zielt unsere Forschung darauf ab, zu verhindern, dass Metastasen so groß werden, wir wollen sozusagen die Saat im Keim ersticken.

Erkennt das Immunsystem die wandernden Krebszellen nicht als Bedrohung?
Gute Frage. Es sieht so aus, als wenn dies in der Tat anfangs nicht der Fall ist. Einzelne gestreute Tumorzellen werden übersehen. Wenn sie dann wachsen, reagiert das Immunsystem, aber die Tumorzellen verwenden dann Tricks, um die Abwehr zu blockieren. Auch das untersuchen wir, sind aber noch sehr am Anfang.

Wie können schlummernde Krebszellen so lange überleben?
Wenn wir das genau verstünden! Wir wissen, dass gestreute Tumorzellen über Jahrzehnte bei manchen Patienten überleben können, ohne irgendeinen Schaden anzurichten oder sich zu vermehren. Ich vermute, dass sehr viele geheilte Krebspatienten, die im hohen Alter und nicht an Krebs sterben, immer noch gestreute Tumorzellen in ihrem Körper haben. Wie überleben diese Krebszellen so lange? Was hält sie in Schach? Entwickeln die verschiedenen Organe, das Gehirn, die Leber, das Knochenmark Abwehrmechanismen? Könnte man die stärken? Das sind genau die Fragen, die wir gerne verstehen würden, um die tödliche Metastasenentstehung verhindern zu lernen.