Die Chirurgie der Zukunft

Deutsche Krebshilfe präsentiert neuen Förderschwerpunkt 'Operativ-chirurgisch orientierte Verfahren'

03.07.2024

Die operative Entfernung eines Tumors ist nach wie vor eine wichtige Säule bei der Behandlung von Krebs. Der Einsatz von neuartigen Technologien und künstlicher Intelligenz eröffnet Möglichkeiten für innovative chirurgische Verfahren. Die Deutsche Krebshilfe hat daher den neuen Förderschwerpunkt „Operativ-chirurgisch orientierte Verfahren“ initiiert, in dem sie zehn Projekte über jeweils drei Jahre mit einem Gesamtvolumen von 4,1 Millionen Euro fördert.

Bei der Therapie von Krebserkrankungen spielen die operativen Fächer eine maßgebliche Rolle. Die Forschung zur Verbesserung operativ-chirurgischer Verfahren bildet eine wichtige Grundlage für effektivere Therapien, die mit einer verbesserten Lebensqualität und gleichzeitiger Reduktion von Nebenwirkungen einhergehen. Die Deutsche Krebshilfe fördert im Rahmen ihres Schwerpunktprogramms insgesamt zehn innovative chirurgische Forschungsvorhaben, in denen bestehende Operationstechniken optimiert oder neue Technologien entwickelt werden sollen.

Forscher aus Jena entwickeln beispielsweise ein Roboter-geführtes Operationsverfahren, das Chirurgen bei der Entfernung von Tumoren des Kopfes unterstützen soll. Bei Tumorerkrankungen im Kopf- und Halsbereich sind Operationen besonders herausfordernd: Solche Tumoren sind meist schwer erreichbar, denn am Kopf und Hals verlaufen viele lebenswichtige Strukturen wie große Gefäße, Nervenbahnen und funktionell wichtige Organe für das Schlucken und Sprechen. Bei der Tumorentfernung besteht daher das Risiko, beispielsweise Nerven und Organe zu schädigen und damit das Schlucken und Sprechen zu verschlechtern. Zudem sind die Grenzen eines Tumors mit bloßem Auge kaum erkennbar. Die Folge: Bei etwa jedem zehnten Patienten werden Kopf-Hals-Tumoren nicht vollständig entfernt.

Insbesondere bei bösartigen Tumoren schneiden die Chirurgen daher nicht direkt an den Tumorrändern, sondern versuchen einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten. Doch aufgrund der vielen lebenswichtigen Strukturen in der Umgebung eines Kopf-Hals-Tumors kann häufig keine großzügige Entfernung erfolgen. Ob der gesamte Tumor entfernt werden konnte oder ob eine zweite Operation notwendig ist, bestimmen Pathologen dann in der Regel erst nach der Operation anhand der Untersuchung des entfernten Tumors. Dafür nutzen sie aufwändige Färbemethoden, um Krebszellen vom umliegenden, gesunden Gewebe zu unterscheiden. So können sie unter dem Mikroskop kontrollieren, ob die Ränder des Tumors im herausoperierten Material erkennbar sind. Nur dann kann das Behandlungsteam davon ausgehen, dass keine Anteile des Tumors im Patienten verblieben sind.

Professor Dr. Orlando Guntinas-Lichius vom Universitätsklinikum Jena sowie Professor Dr. Jürgen Popp von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und dem Leibniz-Institut für Photonische Technologien, Jena, wollen gemeinsam mit ihren Teams das Mikroskop aus der Pathologie direkt an den Operationstisch bringen. Tumorzellen sollen aber nicht mithilfe von Farbstoffen, sondern durch die lichtphysikalischen Eigenschaften ihrer zellulären Bestandteile erkannt werden – ein Verfahren, das durch die sogenannte kohärente Raman-Mikroskopie ermöglicht wird. Dabei wird Gewebe mit speziellen Lichtstrahlen beleuchtet. Dadurch geraten die zellulären Bestandteile wie Proteine, Fette oder die DNA in Schwingungen und werfen das Licht in einer spezifischen Weise zurück. Schritt für Schritt erstellen die Forscher mit dieser Art von Mikroskopie einen molekularen Fingerabdruck des Gewebes. Anhand dieses Profils kann eine künstliche Intelligenz (KI) zwischen gesundem und Tumorgewebe unterscheiden.

In dem von der Deutschen Krebshilfe geförderten Forschungsprojekt wollen Guntinas-Lichius und Popp dieses Verfahren nutzen, um verschiedene Tumoren des Hals-Kopf-Bereiches zu erkennen. Darüber hinaus wollen die beiden Forscherteams das Mikroskop und die KI mit einem speziellen Laser zu einem Roboter-geführten Operationswerkzeug kombinieren. Zukünftig soll es somit möglich sein, direkt während des chirurgischen Eingriffs in Echtzeit zu bestimmen, ob das Gewebe gesund oder tumorös ist – und letzteres sofort mit dem Laser zielgenau zu zerstören.

In Zukunft soll dieser Ansatz mit Operationsrobotern kombiniert werden und die Chirurgen direkt am OP-Tisch unterstützen. So könnten Patienten von einer präzisen und vollständigen Entfernung des Tumors profitieren, bei der das umliegende gesunde Gewebe bestmöglich geschont wird. Die Ziele des von der Deutschen Krebshilfe im Rahmen ihres Förderschwerpunkt-Programms „Operativ-chirurgisch orientierte Forschungsvorhaben“ geförderten Projekts gehen jedoch noch weiter: Langfristig wollen die Wissenschaftler ihr Roboterchirurgie-Verfahren auch für diagnostische Zwecke und weitere Tumorarten testen.

 


Die Deutsche Krebshilfe fördert im Rahmen ihres des Förderschwerpunkts „Operativ-chirurgisch orientierte Verfahren“ folgende Projekte:

  • „Intraoperative funktionelle Optische Kohärenztomographie in der Neurochirurgie kombiniert mit optischer Tumorlokalisation“, Antragsteller: Dr. Bonsanto (Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Prof. Dr. Huber (Universität zu Lübeck) und Dr. Brinkmann (Medizinisches Laserzentrum Lübeck) – 581.100 Euro für 3 Jahre
  • „Roboter-geführte automatische Tumorresektion (ARBOR)“, Antragsteller: Prof. Dr. Guntinas-Lichius (Universitätsklinikum Jena) und Prof. Dr. Popp (Leibniz-Institut für Photonische Technologien e.V., Jena) – 483.635 Euro für 3 Jahre
  • „Innovative und patientenspezifische Visualisierungstechniken für die perioperative Optimierung der onkologischen Chirurgie von perihilären Cholangiokarzinomen“, Antragsteller: PD Dr. Huber (Universitätsmedizin Mainz), Prof. Dr. Hansen, Prof. Dr. Preim (beide Universität Magdeburg), Prof. Dr. Saalfeld (Technische Universität Ilmenau), Dr. Halfmann und Dr. Müller (beide Universitätsmedizin Mainz) – 847.925 Euro für 3 Jahre
  • „Peritonealer (ptDNA) und zirkulierender (ctDNA) Tumor bei Magenkrebs“, Antragsteller: Dr. Jacob, Dr. Heiliger, Prof. Dr. Werner, Prof. Dr. Angele, Prof. Dr. Karcz und PD Dr. Albertsmeier (alle Klinikum der Universität München) – 148.728 Euro für 3 Jahre
  • „Stereotaktische minimalinvasive laserinduzierte Thermaltherapie und integrative molekulare und funktionelle Diagnostik bei zerebralen Mammakarzinom-Metastasen“, Antragsteller: PD Dr. Jakobs, Prof. Dr. Herold-Mende, Dr. Jassowicz (alle Universitätsklinikum Heidelberg), Prof. Dr. Schneeweiß, Dr. Thewes (beide Nationales Centrum für Tumorerkrankungen) und Prof. Dr. Lichter (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg) – 460.102 Euro für 3 Jahre
  • „Funktionelle intraoperative optische Bildgebung: Optimierung von neurochirurgischen Ergebnissen bei molekular-stratifizierten Gliomen“, Antragsteller: Prof. Juratli, Prof. Dr. Sobottka und Prof. Dr. Koch (alle Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden) – 314.565 Euro für 3 Jahre
  • „Der Effekt des Mikrobioms auf die Anastomosenheilung nach Tumoroperationen am Gastrointestinaltrakt mit Schwerpunkt auf der funktionellen Rolle bei der extrazellulären Matrixbildung“, Antragsteller: PD Dr. Neumann, Prof. Dr. Janssen und Dr. Weber (alle Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar) – 224.055 Euro für 3 Jahre
  • „Somatostatin-Rezeptor (SSTR II)-zielgerichtete Nahinfrarot-Sonde für die fluoreszenzgestützte Meningeomchirurgie“, Antragsteller: PD Dr. Neuschmelting (Universitätsklinikum Köln), Prof. Dr. Bruns (Nationales Centrum für Tumorerkrankungen, Dresden) und Prof. Dr. Plettenburg (Helmholtz Zentrum München) – 384.951 Euro für 3 Jahre
  • „Translationale molekulare und optische Bildgebung in Gliomen: Spektroskopie, Maschinelles Lernen und Validierung mittels Massenspektrometrie“, Antragsteller: PD Dr. Suero Molina, Prof. Dr. Stummer (beide Universitätsklinikum Münster) und Prof. Dr. König (Universität Münster) – 342.600 Euro für 3 Jahre
  • „Multispektrale Echtzeit-Bildgebung zur Visualisierung der intestinalen Perfusion in der chirurgischen Onkologie zur Reduktion postoperativer Major-Komplikationen“, Antragsteller: Prof. Wiegering (Universitätsklinikum Würzburg) – 355.395 Euro für 3 Jahre


Dieser Artikel wurde in unserem Geschäftsbericht 2023 veröffentlicht.