Das Krebs-Epigenom - Ein neuer Ansatz gegen Tumoren

Mehr als 22.000 Gene bestimmen Aufbau und Funktion unseres Körpers. Unsere Gene und ihre Abfolge auf der DNA bleiben ein Leben lang unverändert. Warum können Umweltfaktoren trotzdem die Eigenschaften von Zellen und die Aktivität unserer Gene beeinflussen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Epigenetik. Denn epigenetische Veränderungen können nicht nur Krankheiten verursachen. Möglicherweise vererben wir sie an unsere Nachkommen weiter.

Im Kern jeder unserer Körperzellen liegt unsere Erbinformation – die DNA. Gene sind bestimmte Abschnitte auf der DNA. Die DNA ist wie ein Handbuch für den Bau unseres Körpers. In den einzelnen Genen ist festgeschrieben, wie jede einzelne der Billionen unterschiedlicher Zellen in unserem Körper aufgebaut ist und welche Aufgaben sie erfüllt.

Dieses Handbuch liegt in jedem Zellkern vollständig vor – allerdings als eine Art lange „Papyrusrolle“. Jede Zelle benötigt unterschiedliche Kapitel dieser Rolle. Deshalb wird die DNA auf sogenannte Histone auf- und wieder abgewickelt: Das sind Proteine, die wie Spulen funktionieren. Auf dem Stück zwischen zwei Spulen kann der DNA-Code, also die Information für die Zellen, abgelesen werden. Befindet sich das Gen oder der Code auf der Spule, kann es nicht abgelesen werden und ist für die Zelle unbrauchbar. Über diesen Mechanismus wird bestimmt, welche Informationen genutzt werden können.

Obwohl der DNA-Code, also die Abfolge der DNA-Moleküle, unveränderlich ist, können Umwelteinflüsse für Veränderungen in diesem Prozess sorgen: Sogenannte epigenetische Faktoren heften sich entweder an die DNA selbst, oder an die Histone, um die sie „gewickelt“ wird. Dadurch verändert sich die Art und Weise, wie die DNA auf- und wieder abgewickelt wird. Es kann dazu kommen, dass ein Gen aufgewickelt ist und deshalb nicht mehr abgelesen werden kann. Das Gen wird somit ausgeschaltet. Hier setzen epigenetisch wirksame Medikamente an: Sie machen die Veränderungen rückgängig, indem sie epigenetische Faktoren wieder entfernen. Somit werden „versteckte“ Gene wieder ablesbar. Doch wie können Mediziner diese Mechanismen in der Krebstherapie nutzen?

Wir verfügen über bestimmte Gene, die Krebszellen unterdrücken können – die sogenannten Tumorsuppressor-Gene. Sie sorgen für unsere körpereigene Krebsabwehr. Bei Krebspatienten liegen häufig epigenetische Veränderungen vor, wodurch der Ablese-Mechanismus gestört ist. Wird das Tumorsuppressor-Gen jedoch nicht richtig abgelesen, kann der Körper die Krebszellen auch nicht an ihrem Wachstum hindern. Die epigenetische Therapie reaktiviert das Gen, indem sie die epigenetischen Faktoren entfernt. Daraufhin beginnt der Körper erneut damit, die Krebszellen zu bekämpfen.

Erste Erfolge der epigenetischen Medikamente zeigen sich bei der Therapie von Blutkrebs: Eine europaweite klinische Studie prüft aktuell die Wirksamkeit. Ihrer Erforschung hat sich auch der Krebsbiologe Professor Dr. Stephen Baylin verschrieben. Seine aktuelle Forschung zur Epigenetik stellt er im folgenden Interview vor.

"Unser Fokus liegt darauf, epigenetische Therapien für unterschiedliche Krebstypen zu finden"

Interview mit Professor Dr. Stephen Baylin, Johns Hopkins Medicine, Baltimore, USA

Bitte stellen Sie sich kurz vor: Was ist Ihr Hintergrund und Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt?

Ich bin Biologe und habe mich auf Grundlagenforschung zum Thema Krebs spezialisiert. Zusätzlich betreibe ich translationale Studien mit meinem Team „Stand Up to Cancer“: Das bedeutet, dass unsere Laborergebnisse zeitnah in klinischen Studien, also an Patienten, getestet werden. Unser Fokus liegt darauf, epigenetische Therapien für unterschiedliche Krebstypen zu finden. Wir hoffen so Ansätze zu finden, wie wir Resistenzen gegen Standardtherapien aufheben können.

Welchen Stellenwert hat Genetik in der Onkologie?

Die Erforschung genetischer Veränderungen ist für jede Art von Krebs essenziell: Nur so können wir neue Behandlungsstrategien entwickeln. Mein Team fokussiert sich auf epigenetische Veränderungen. Wir erforschen, wie sie zu Krebsentstehung und -wachstum beitragen. Gerade im Alter oder bei chronischen Entzündungen sind Zellen anfällig für genetische Veränderungen. Hier gibt es aber solche, die rückgängig gemacht werden können – nämlich die epigenetischen Veränderungen. Diese Umkehrung bietet einen vielversprechenden Ansatz für Vorsorge und Therapie bei Krebs.

Was bedeutet Epigenetik?

Epigenetik beschäftigt sich mit zwei Phänomenen: Zellen können ihre Verhaltensmuster bei der Nutzung der DNA verändern. Außerdem können sie Gene nutzen, ohne dass dabei der DNA-Code verändert wird. Das lässt sich mit Software vergleichen, die die Funktion der Hardware bestimmt. Dabei ist der DNA-Code die Festplatte. Die Software kann sich abnorme Veränderungen der Gene merken, ohne dass dadurch die Festplatte verändert werden muss. Fehler in der Software lassen sich viel leichter beheben als Schäden der Hardware.

Was sind die neuen Erkenntnisse?

Epigenetische Anomalien können Auslöser für Krebs sein. Sie können durch Beschädigung der DNA-Festplatte entstehen. Diese wiederum kann durch giftige Zellprodukte, die beim Altern oder bei Entzündungen entstehen, verursacht werden. Kennen wir die genauen Zusammenhänge, können wir Ansätze dafür finden, wie sich Veränderungen rückgängig machen lassen. Oder wir finden die Gründe, warum das Krebsrisiko durch Alter, Entzündungen oder Rauchen steigt.

Was bedeutet dies für die Therapieoptionen der Patienten?

Durch diese neuen Erkenntnisse können wir Faktoren identifizieren, die das Krebsrisiko erhöhen. Dieses Risiko scheint auch durch epigenetische Veränderungen zu steigen. Kehren wir diese wieder um, könnten wir damit Krebs vorbeugen. Außerdem können wir die in Tumoren enthaltenen epigenetischen Veränderungen beobachten und anhand dessen maßgeschneiderte Therapien für den einzelnen Patienten entwickeln.