Dortmund (evb) – Julian ist gerade in der Eingewöhnungsphase im Kindergarten, als er an Krebs erkrankt. Eine beschwerliche Zeit voller Rückschläge beginnt. Doch die Teilnahme an einer klinischen Studie gibt der Familie neue Hoffnung.
Neuroblastom: Julians persönliche Geschichte
Julian war plötzlich nicht mehr so aktiv, ungewöhnlich anhänglich & hat viel geschwitzt.
Mit geschickten Fingern und gekonnten Griffen setzt Julian bunte Steinchen aufeinander und lässt aus ihnen komplexe Gebilde entstehen: Raumschiffe, Actionfiguren, Fantasiefahrzeuge. Beim Lego bauen ist der heute 12-Jährige richtig gut. Nicht verwunderlich also, dass Julian auf die Frage nach seinem Berufswunsch „Architekt oder Ingenieur“ antwortet.
Dass Julian so ausgelassen spielen kann und Zukunftswünsche hat, ist alles andere als selbstverständlich. Denn mit gerade einmal 18 Monaten erkrankt er schwer. „Julian war plötzlich nicht mehr so aktiv, ungewöhnlich anhänglich und hat viel geschwitzt. Als wir dann noch eine Beule an der Schläfe entdeckt haben, sind wir zum Arzt gegangen“, erzählt Julians Mutter Monika. Doch dort wird die Familie nicht richtig ernst genommen: Julian habe sich bestimmt gestoßen, zahnt oder brütet einen Infekt aus.
Aber der Zustand des kleinen Jungen verschlechtert sich rapide. Er verweigert das Essen und hat plötzlich ein hervortretendes Auge. Julians Eltern fahren mit ihrem Sohn ins Krankenhaus. Schnell wird klar: Es sieht nicht gut aus.
Krankenhaus statt Kindergarten
Nach einigen Untersuchungen steht die niederschmetternde Diagnose fest: In Julians kleinem Körper hat sich ein Neuroblastom ausgebreitet – ein bösartiger Tumor in der Nebenniere, der vom Kopf bis ins Knochenmark Metastasen gebildet hat. „Das hat uns einfach mal den Boden unter den Füßen weggezogen. Mit dieser Diagnose hätten wir nicht gerechnet“, erinnert sich Monika.
Statt Kindergarteneingewöhnung heißt es für den Anderthalbjährigen nun Krankenhausalltag. Es folgt eine lange und strapaziöse Zeit mit vielen Chemotherapien und anschließenden Operationen, in denen die Nebenniere sowie Metastasen entfernt werden. Auch Stammzelltransplantationen sind Teil der Therapie. Nach anfänglich positiver Entwicklung ereilt die Familie die nächste Hiobsbotschaft: Nur drei Monate nachdem die Therapie eigentlich abgeschlossen ist, ist Julians Krebs zurück – größer und aggressiver als zuvor.
Ein Tumor in der Größe eines Tennisballs wächst von seinem Auge aus in Richtung des Gehirns. In einer Notoperation können die Ärzte nur 90 Prozent des Tumors entfernen, den Rest soll die Chemotherapie zerstören. „Wir haben jetzt eine harte Nuss zu knacken“, gibt der behandelnde Arzt den Eltern zu verstehen.
Nebennierentumor: Zwischen Hoffnung & Verzweiflung
Die Ärzte kämpfen mit allen Mitteln gegen den Tumor an. Die Strapazen sind enorm: Julians Schmerzen werden mit Morphin behandelt, wodurch er Krämpfe bekommt und zwischendurch das Bewusstsein verliert. Die Nebenwirkungen mancher Medikamente sind so gravierend, dass er sogar für einige Tage erblindet, weil der Teil seines Gehirns, der für die Bildverarbeitung zuständig ist, anschwillt.
Julian selbst hat kaum noch Erinnerungen an diese Zeit. „Ich weiß nur noch, dass einmal eine Schwester ins Zimmer kam und meinte: ,Hallo Julian’ und ich dann gesagt habe: ,Ich bin nicht Julian’ und sie dann mit der Spritze wieder rausgegangen ist“, erzählt der 12-Jährige mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht. „Und mein Opa kam als Weihnachtsmann verkleidet zu Besuch, aber den habe ich sofort erkannt“, lacht er. Julians Eltern sind froh, dass sich ihr Sohn nur an solche Momente erinnert.
Neue Krebstherapie für Kinder: RIST-Studie
In ihrer Verzweiflung erhält die Familie die Möglichkeit, an einer klinischen Studie teilzunehmen. In der sogenannten RIST-Studie, gefördert von der Deutschen Krebshilfe mit rund 1,1 Millionen Euro, werden erstmals moderne molekularbasierte Medikamente mit einer milden Chemotherapie kombiniert.
Die Nebenwirkungen sind viel geringer:
- weniger Übelkeit,
- weniger Appetitlosigkeit,
- weniger Probleme mit der Verdauung.
Auch wenn nach dieser Therapie weitere schmerzvolle und körperlich enorm belastende Therapien notwendig sind, hat die RIST-Therapie für die entscheidende Wende im Kampf gegen den Krebs gesorgt. Und das Wichtigste: Julian überlebt. Dreieinhalb Jahre nach der Diagnose kann der Junge zurück in den Kindergarten gehen. Julian und seinen Eltern fällt eine schwere Last von den Schultern, denn der heute 12-Jährige kann mit Stolz sagen: „Heute geht es mir gut. Super gut.“
Heute holt Julian alles nach, was er während seiner Krebserkrankung nicht tun konnte.
Zurück im Leben
Vergessen sind die Jahre der schweren Krankheit für die Familie zwar nicht, aber sie überschatten nicht mehr alles andere. „Wir haben aus Julians Erkrankung nie ein Geheimnis gemacht und letztendlich ist ja auch diese Zeit ein Teil unseres Lebens. Wir sprechen offen und ehrlich mit Julian darüber und haben auch das Gefühl, dass er akzeptiert hat, dass er so schwer krank war“, sagt Vater Adam.
Die überstandene Krebserkrankung wird man Julian immer ansehen, sei es durch die Operationsnarben oder die Hörgeräte, die er seither tragen muss. Manchmal ist er traurig über all das, was er damals nicht erleben konnte. Seine Mutter fängt die Wehmut aber schnell auf: „Jetzt holst du aber alles nach, stimmt’s?“, fragt sie aufmunternd.
„Ja“, sagt Julian strahlend und verabschiedet sich zum Lego spielen mit seinem Freund.
Wir haben aus Julians Erkrankung nie ein Geheimnis gemacht und letztendlich ist ja auch diese Zeit ein Teil unseres Lebens.