„Nach wie vor großer Handlungsbedarf“

Ihrem Motto „Helfen. Forschen. Informieren.“ folgte die Deutsche Krebshilfe auch im Jahr 2021 mit dem Ziel, krebskranken Menschen eine immer bessere Versorgung zu ermöglichen und die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, das eigene Krebsrisiko zu verringern. Im Gespräch zieht der Vorstandsvorsitzende Gerd Nettekoven Bilanz.

Interview mit Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe (Foto: Regina Brodehser/Deutsche Krebshilfe)

Herr Nettekoven, was waren im vergangenen Jahr die Themenschwerpunkte der Deutschen Krebshilfe?

Unser ganzes Handeln hat immer das Ziel, an Krebs erkrankten Menschen jede Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen, die sie in dieser schweren Zeit benötigen. Wir fördern die Krebsforschung in hohem Maße und mit gezielten Programmen, um mit neuen Erkenntnissen die Patientenversorgung stetig zu verbessern. Wir tragen dazu bei, wichtige Strukturen in der Onkologie – wie Krebszentren – weiterzuentwickeln. Auch die Krebsprävention ist uns ein zentrales Anliegen, um die zahlreichen Möglichkeiten zur Vermeidung von Krebs besser als bisher zu nutzen. In diesem Sinne haben wir im vergangenen Jahr 163 neue Projekte und Initiativen auf den Weg gebracht, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes umfangreich über das Thema Krebs informiert sowie krebskranken Menschen mit Rat und Tat zur Seite gestanden.

So haben wir auf dem Gebiet der Krebsforschung neben zahlreichen innovativen Einzelprojekten ein ganz besonderes Programm für bereits etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingerichtet. Hiermit geben wir den Geförderten den nötigen finanziellen Rückhalt und zeitlichen Freiraum, um richtungsweisende Ideen zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen umzusetzen und konzeptionell neue Wege zu gehen. Damit unterstützen wir wissenschaftliche Projekte, die auf der einen Seite risikobehaftet und auch längerfristig angelegt sind, auf der anderen Seite aber das Potenzial haben, die Krebsmedizin entscheidend voranzubringen.

Eine weitere beispielhafte neue Förderinitiative, die wir im Jahr 2021 auf den Weg gebracht haben, beschäftigt sich mit der ethischen Verantwortung in der modernen Krebsmedizin. Durch Erkenntnisse aus der Forschung gibt es heute vermehrt neue Möglichkeiten und Strategien, Patientinnen und Patienten zu behandeln. Die Entscheidung, welche Therapie für einen Patienten die beste ist, wird damit aber auch komplexer und es ergeben sich zunehmend auch ethisch relevante Fragestellungen – beispielsweise, wenn die Behandelnden zwischen Risiken und Nutzen einer Therapie abwägen müssen oder bei der adäquaten Information und Aufklärung der Betroffenen. Relevant ist auch die Frage, ob und inwiefern ökonomische Faktoren bei Therapieentscheidungen eine Rolle spielen. Diese wichtigen Themen und offenen Fragen liegen uns sehr am Herzen. Sie werden in den kommenden drei Jahren von zahlreichen Arbeitsgruppen wissenschaftlich untersucht. Dabei sollen auch Lösungsansätze entwickelt werden.

Auch in der Kinderkrebsbekämpfung haben wir eine ganz wichtige Strukturförderung beschlossen, um die Heilungschancen für krebskranke Kinder und Jugendliche, für die bisher keine effektiven Therapien zur Verfügung stehen, zu verbessern. Wir wollen den jungen Patientinnen und Patienten ermöglichen, an innovativen klinischen Studien teilzunehmen und so bereits Zugang zu Therapien zu erhalten, die sich in einer sehr frühen Phase der Entwicklung befinden. Zwei Studiennetzwerke mit mehreren Kinderkrebszentren, die einen hohen Standard in der translationalen Forschung und klinischen Versorgung haben, sollen mit unserer Förderung in den nächsten fünf Jahren Konzepte zur effizienten Durchführung von sogenannten frühen klinischen Studien entwickeln und umsetzen. Wir denken bereits jetzt darüber nach, unsere Förderung später auch auf weitere Netzwerke auszuweiten.

Auch die von uns vor 15 Jahren initiierten Onkologischen Spitzenzentren – die sogenannten Comprehensive Cancer Center – standen im Jahr 2021 weiterhin im Fokus unseres Wirkens. Insbesondere ist uns deren Weiterentwicklung wichtig. Mit diesen Zentren und ihren interdisziplinären Versorgungs- und Forschungsstrukturen haben wir in Deutschland die Grundlagen für eine flächendeckende, strukturierte und zukunftsorientierte Patientenversorgung geschaffen. Unsere Bemühungen zur Errichtung der Comprehensive Cancer Centers und deren Entwicklung finden inzwischen auch außerhalb unseres Landes hohe Anerkennung.

Wir finden Gehör mit unseren Anliegen, werden also politisch sehr ernst genommen.

Gerd Nettekoven

Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Krebshilfe

Interview mit Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe (Foto: Regina Brodehser/Deutsche Krebshilfe)

Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Krebshilfe

Gab es 2021 weitere Ereignisse, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Ja, die gab es. Zur Erfüllung unserer vielfältigen Aufgaben benötigen wir immer auch die Unterstützung aus der Bevölkerung. Im September hat zum ersten Mal der bekannte Fernsehmoderator Johannes B. Kerner seine Samstagabendshow im ZDF „Der Quiz-Champion“ als Spenden-Special für die Deutsche Krebshilfe präsentiert. Zahlreiche prominente Gäste haben sich gemeinsam mit den über 3 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern vor den Fernsehgeräten dankenswerterweise für krebskranke Menschen starkgemacht. Insgesamt kamen rund 3,1 Millionen Euro zusammen. Mit der Sendung hat der Moderator in großartiger Weise für das Thema Krebs sensibilisiert. Mein Dank gilt an dieser Stelle auch noch einmal dem ZDF und Johannes B. Kerner.

Im Gedächtnis geblieben ist mir aber auch die Corona-Pandemie, die uns im vergangenen Jahr erneut außergewöhnlich beschäftigt hat. Wir hatten phasenweise immer wieder die Befürchtung, dass unser Gesundheitssystem durch zu viele COVID-19-Patienten zusammenbricht und aus diesem Grund die Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten vernachlässigt wird. Tatsächlich sind dann auch zahlreiche diagnostische Untersuchungen, Krebsbehandlungen und weitere versorgungsrelevante Maßnahmen wie schon im Jahr zuvor verschoben worden. Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen, dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Deutschen Krebsgesellschaft, haben wir in einer Task Force fortwährend die Situation an zahlreichen Krebszentren analysiert sowie unsere Feststellungen und Sorgen immer wieder an die Politik adressiert. Leider sind mögliche Folgen der Pandemie für Krebspatienten, die in dieser Zeit notwendiger Untersuchungen oder Behandlungen bedurften, heute noch nicht abschätzbar. Ich hoffe sehr, dass solche kritischen Phasen in Zukunft vermieden werden können.

Die Deutsche Krebshilfe ist auch in der Gesundheits- und Forschungspolitik ein wichtiger Gesprächspartner. Welche Impulse konnten Sie 2021 setzen?

Mit unseren umfangreichen Aktivitäten auf allen Gebieten der Krebsbekämpfung ist es geradezu zwingend, auch gesundheits- und forschungspolitisch stets präsent zu sein. Und wir finden Gehör mit unseren Anliegen, werden also politisch sehr ernst genommen. So sind wir in verschiedenen Gremien des „Nationalen Krebsplans“ des Bundesministeriums für Gesundheit und der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vertreten. Der regelmäßige Dialog mit den beiden Bundesministerien ist für unsere Arbeit von zentraler Bedeutung, um mit diesen aus unserem Blickwinkel wichtige Themen diskutieren zu können, aber auch um gemeinsame Anliegen voranzubringen. So sind wir beispielsweise derzeit dabei, mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung jeweils eigene Förderprogramme für die Forschung zur risikoadaptierten Krebsfrüherkennung abzustimmen, um thematische Redundanzen zu vermeiden.

Ein Thema, das uns im vergangenen Jahr besonders am Herzen lag, war die HPV-Impfung, also die Impfung gegen krebsverursachende Humane Papillomviren, die beispielsweise Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Wir haben die mit unseren Partnern – Deutsches Krebsforschungszentrum und Deutsche Krebsgesellschaft – gemeinsam durchgeführte „Nationale Krebspräventionswoche“ 2021 genutzt, um dieses wichtige Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, da die Impfraten in Deutschland viel zu niedrig sind und das Potenzial der Impfung zur Prävention von Krebserkrankungen nicht ausgeschöpft wird. Der Politik gegenüber haben wir deutlich gemacht, dass hier Handlungsbedarf besteht und Strategien entwickelt werden müssen, um für die HPV-Impfung stärker zu sensibilisieren.

Auch waren uns die Themen Nichtrauchen und Tabakkontrolle 2021 weiterhin ein wichtiges Anliegen. Deutschland ist nach wie vor europäisches Schlusslicht in der Tabakkontrolle. Es wird in Kauf genommen, dass jedes Jahr 85.000 Menschen als Folge des Rauchens an Krebs erkranken, 127.000 Menschen am Tabakkonsum sterben und der Gesellschaft durch tabakbedingte Krankheit und Tod 97 Milliarden Euro an Folgekosten entstehen. Das sind deutliche Zahlen. Unser Ziel ist ein rauchfreies Deutschland bis 2040, in dem weniger als fünf Prozent der Erwachsenen und weniger als zwei Prozent der Jugendlichen Tabakprodukte und E-Zigaretten konsumieren. Mit diesem Aufruf haben sich am letztjährigen Weltnichtrauchertag gemeinsam mit uns zahlreiche Gesundheits- und zivilgesellschaftliche Organisationen an die Politik gewandt. In einem Strategiepapier haben wir zehn konkrete Maßnahmen zur Tabakkontrolle und einen Zeitplan für deren Umsetzung erarbeitet. Es wird allerhöchste Zeit, dass auch wir zu einem Land in Europa werden, das die Gesundheit seiner Bevölkerung besser schützt und dieser einen hohen Stellenwert beimisst.

Welche Mittel standen Ihnen im Geschäftsjahr 2021 für Ihre Arbeit, Projekte und Initiativen im Sinne krebskranker Menschen zur Verfügung?

Über 152 Millionen Euro hat die Deutsche Krebshilfe im vergangenen Jahr an Einnahmen verzeichnen können. Allein 90,1 Millionen Euro stammten aus Erbschaften und Vermächtnissen. Damit stellten die der Deutschen Krebshilfe anvertrauten Nachlässe wie in den vorangegangenen Jahren erneut den größten Einzelposten unter unseren Einnahmen dar. Ein großer Teil der Erbschaftserlöse fließt in neue Forschungsprojekte – damit kommen wir dem Wunsch vieler Menschen nach, die uns in ihrem Testament bedacht haben. Aber auch die über 370.000 Einzelspenden von Privatpersonen, Unternehmen oder auch Stiftungen mit über 36 Millionen Euro, die Erlöse aus Benefizaktionen sowie Jubiläums- und Kondolenzspenden zugunsten der Deutschen Krebshilfe haben unsere erfolgreiche Arbeit im vergangenen Jahr ermöglicht.

Vorstand der Deutschen Krebshilfe: Gerd Nettekoven (Vorsitzender, rechts) und Dr. Franz Kohlhuber (Foto: Regina Brodehser/Deutsche Krebshilfe)

Wie ist dieses sehr erfreuliche Ergebnis zu bewerten? 2021 war geprägt von Krisen wie der Corona-Pandemie oder der Flutkatastrophe im Juli.

Die Unterstützung, die wir aus der Bevölkerung erhalten, ist wirklich großartig. Wir haben allen Grund, sehr dankbar zu sein für die ungebrochene Spendenbereitschaft unserer Mitmenschen. Uns ist vollkommen bewusst, dass das vergangene Jahr für viele kein einfaches Jahr war und es zahlreiche Unsicherheiten und Einschränkungen gab. Umso mehr zeigt uns dieses Jahresergebnis, dass unsere Anstrengungen im Kampf gegen den Krebs von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen und anerkannt werden und dass wir mit dem breit angelegten Spektrum unserer Aktivitäten richtig liegen. Auch unsere Wirtschaftlichkeit ist ganz sicher mit ein Grund für unsere Glaubwürdigkeit: Unsere Kosten für Verwaltung und Spendenakquise sowie unsere sonstigen Kosten lagen 2021 bei insgesamt 6,0 Prozent. Die Projektnebenkosten beliefen sich auf 3,0 Prozent. Alles, was wir in der Krebsbekämpfung leisten, ist nur durch die breite Unterstützung aus der Bevölkerung möglich. Ohne unsere Spenderinnen und Spender wären wir nicht in der Lage, unsere Aufgaben zu erfüllen. Ein weiterer Stützpfeiler unserer Arbeit sind die zahlreichen Ärzte und Wissenschaftler, die sich mit ihrem Fachwissen, ihrer Energie und ihrer Zeit ehrenamtlich für die Aufgaben der Deutschen Krebshilfe einsetzen und uns bei der Einschätzung von Projekten und Initiativen beraten und unterstützen. Aber auch andere Fachvertreter und Menschen aus weiteren gesellschaftlichen Bereichen beraten uns und tragen unsere Arbeit mit sowie unsere Anliegen in die Öffentlichkeit.

Was planen Sie für die Zukunft?

In vielen Bereichen der Krebsbekämpfung sehen wir nach wie vor großen Handlungsbedarf. Es wird mir aber an dieser Stelle nicht möglich sein, alle unsere künftigen Vorhaben und Anliegen zusammenzufassen. Daher kann ich nur einige wenige Themenfelder nennen, die wir als äußerst relevant ansehen, und mit denen sich unsere Fachgremien derzeit bereits befassen.

Es muss unser Ziel sein, für alle Krebspatientinnen und -patienten die bestmögliche Versorgung sicherzustellen, und das in allen Bereichen der Versorgung. Daten aus Krebsregistern haben uns aber gezeigt, dass es regionale Unterschiede im Krebsüberleben gibt: Neben einem Nord-Süd- und Ost-West-Gradienten für solide Tumoren lassen sich bessere Überlebensraten im Einzugsgebiet der großen deutschen Metropolen beobachten. Unser Anspruch ist es jedoch, die Patientenversorgung in Deutschland insgesamt auf das höchstmögliche Niveau zu bringen, auch in ländlichen Gebieten. Den vorhandenen Defiziten werden wir uns annehmen und auch mit gezielten Förderinitiativen reagieren. Den von uns auf den Weg gebrachten Comprehensive Cancer Centers wird hier eine zentrale zusätzliche Aufgabe zukommen im Sinne von Vernetzung mit periphären Krankenhäusern und niedergelassenen Arztpraxen. Aber auch politische Weichenstellungen werden zwingend notwendig sein.

Auch in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient sehen wir Verbesserungsbedarf. Den Mitarbeiterinnen unseres Informations- und Beratungsdienstes INFONETZ KREBS wird dies bei ihren Gesprächen mit Patientinnen und Patienten täglich vor Augen geführt. Zur Verbesserung der Kommunikation in der Onkologie bereiten wir daher ebenfalls gezielte Initiativen vor.

Die Pflege ist für uns ein weiteres wichtige Thema. Pflegepersonal nimmt bei der Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten eine hochrelevante Rolle ein. Uns beschäftigt derzeit die Frage, welchen Beitrag die Deutsche Krebshilfe zur Verbesserung der Situation und Behebung von Defiziten in diesem Bereich leisten kann.

Darüber hinaus haben wir kürzlich beschlossen, mit erheblichen Mitteln ein Forschungsschwerpunktprogramm zu einem nach wie vor hochproblematischen Tumor – dem Bauchspeicheldrüsenkrebs – auf den Weg zu bringen, mit dem Ziel, die klinische Situation für die Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Unsere Arbeit werden wir auch in Zukunft nur in enger und guter Zusammenarbeit mit wichtigen Partnern – wie der Deutschen Krebsgesellschaft, dem Deutschen Krebsforschungszentrum, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung – erfolgreich durchführen können, denen ich an dieser Stelle für das bisherige gute Zusammenwirken ausdrücklich danken möchte.

Ebenso werden wir nur mit dem weiteren Vertrauen und der Treue unserer Spenderinnen und Spender in der Lage sein, unsere künftigen Vorhaben umzusetzen, um die Situation krebskranker Menschen auch in Zukunft verbessern zu können.
 

Weitere Informationen zum Geschäftsjahr 2021 finden Sie in unserem aktuellen Geschäftsbericht.

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